Das Leben ist ein schwarzer Witz
Am 23. März 2024 wird ORPHEUS STEIGT HERAB in der Inszenierung von Martin Kušej am Burgtheater Premiere feiern. Tennessee Williams erzählt darin die Geschichte eines Außenseiters in einer Kleinstadthölle, die sich überall auf der Welt auf ähnliche Weise abspielen könnte. Anlässlich einer Premiere in Wien im Jahr 1976 hat Williams im Hotel Imperial ein Interview gegeben, das wir als Fundstück präsentieren. Williams spricht darin über den Beruf des Schriftstellers und über soziale Bedingungen, die auch knapp fünfzig Jahre später nicht an Aktualität verloren haben.
In der Lobby des Wiener Hotels Imperial, wo eine Fülle von Gold und Mahagoni die verschwundene Pracht der ehemaligen Donaumonarchie verdeckt, fällt der kleine, zierliche Mann nur durch seine hellbraune, enganliegende Pelzjacke auf. Überraschenderweise ist dieser Tennessee Williams – zumindest äußerlich – weit entfernt von dem neurotischen Nervenbündel, als das man ihn sich vorstellen könnte. Er ist übermäßig herzlich, sofort persönlich und scheut sich nicht vor Fragen, obwohl er Interviews hasst. Seine einzige Bedingung: „Lass uns erst etwas trinken.“
Doch seine Fröhlichkeit ist ein wenig trügerisch. Tennessee Williams, 64, ist schließlich nicht ohne Grund zu seiner Uraufführung an die Donau geflüchtet. (Uraufführung der Neufassung seines Stücks „The Red Devil Battery Sign“ im Jahr 1976, Anm.d.R.) „Ich möchte ein paar Dinge ausprobieren. Und ich habe keine Lust, mich deswegen von amerikanischen Kritikern zerreißen zu lassen.“ Seine nächste Bemerkung klingt noch nachdenklicher. „Ihr Europäer liebt eure Künstler mehr; ihr verzeiht ihnen, dass sie nicht immer gleich gut sind.“ Für einen Mann wie Tennessee Williams scheint eine solche Nachsicht essentiell zu sein. Allmählich beginnt man die Zweideutigkeit zu begreifen, von der seine Stücke handeln: die Existenz von Sensibilität in der gnadenlosen Härte der amerikanischen Erfolgsgesellschaft. Williams sagt selbst: „Ich kann nicht leben, ohne zu schreiben. Und in meinem Schreiben gebe ich mich immer zu erkennen; meine Stücke handeln eigentlich nur von mir. Glauben Sie mir, ein Schriftsteller zu sein – das ist ein grausamer Beruf.“
Ich kann nicht leben, ohne zu schreiben. Und in meinem Schreiben gebe ich mich immer zu erkennen; meine Stücke handeln eigentlich nur von mir. Glauben Sie mir, ein Schriftsteller zu sein – das ist ein grausamer Beruf.
Und das trug nach eigenem Bekunden maßgeblich dazu bei, dass er Ende der sechziger Jahre in die tiefste Krise seines Lebens stürzte. Mit Alkohol und Aufputschmitteln hielt er sich an seinem Schreibtisch fest. Seine Nerven versagten. „Und dann stand ich vor der Entscheidung, ob ich weiterleben wollte oder nicht. Ich kam zu der einfachen Erkenntnis: Leben – das heißt einfach weitermachen, ohne jede intellektuelle oder spirituelle Rechtfertigung.“
Doch es steckt mehr dahinter. Verbirgt sich hinter dem scheinbaren Fatalismus nicht eine Sehnsucht? Worum ging es dann eigentlich in der Krise? Williams antwortet erst nach langem Nachdenken. „Es war der Widerspruch zwischen zwei Seiten meiner Natur: zwischen Sanftheit und Gewalt, zwischen Zärtlichkeit und Härte.“ Die Krise eines Autors, die man so gerne auf seine Neurosen zurückführt, entpuppt sich als der uralte Dualismus des abendländischen Dramas: Liebe und Zerstörung.
Hat eine Seite gewonnen? Williams zuckt mit den Schultern. „Die Dinge ändern sich sehr wenig.“ Hat er seine Identität in der Gesellschaft wiedergefunden? „Die Probleme der Gesellschaft, die in den vierziger und fünfziger Jahren auch meine Probleme waren, sind offensichtlich nicht gelöst worden. Erst in den sechziger Jahren schienen sie sich aufzulösen. Viele Menschen glaubten an politische, soziale Lösungen. Aber ich habe den Eindruck, dass sich jetzt ein Wandel vollzieht. In diesem Sinne könnte man vielleicht sagen, dass ich meine Identität in der Gesellschaft wiederfinden werde.“
Williams führt dies aber darauf zurück, dass sich die Art der Fragestellungen verändert hat. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine echte Beziehung zu den sozialen Bedingungen der Welt gewonnen. Ich hatte immer die gleichen Probleme wie die Menschen in meinen Stücken: keine Verbindung zur Außenwelt. Ich war in mir selbst gefangen. Zumindest dieses Problem hat sich in der Krise der späten sechziger Jahre gelöst, was man natürlich nicht so verstehen darf, dass ich plötzlich ein soziologischer Autor geworden bin. Aber meine Hauptfiguren haben jetzt insofern eine politische Dimension, als sie nicht mehr blind aus sich heraus handeln, sondern sich der Wirkung ihres Handelns bewusst sind.“
Der Mensch muss einfach weitermachen.
Und das sieht Williams auch persönlich. „Ich glaube, dass sich die Gesellschaft wieder mit meinen aktuellen Problemen identifizieren kann.“ Er erklärt nun deutlicher, was sich eigentlich verändert hat. „Die Beziehung der Menschen zueinander, das Bedürfnis, der Einsamkeit zu entfliehen, das Problem in all seinen Aspekten – all das hat natürlich eine soziale und politische Dimension. Diese Beziehungen, die ich früher nicht so gesehen habe, stelle ich jetzt in meinen neuen Stücken dar.“
Ist er also ein Optimist geworden? Er weist diesen Gedanken fast fatalistisch zurück. „Ich habe schon gesagt, dass ein Mensch einfach weitermachen muss. Für mich ist nur das realistisch.“
Dennoch scheint Amerika seinen Tennessee Williams neu zu entdecken. In Washington, New York und Los Angeles werden in dieser Saison fünf seiner Werke aufgeführt, die zumeist vor vollen Häusern gespielt werden. Für Williams selbst ist der Erfolg, den seine neuen Werke haben werden, aber vielleicht noch wichtiger. Sein wiedergefundenes Selbstvertrauen ist noch nicht so stark, dass eine neue Krise nicht möglich wäre. „Das Leben ist ein schwarzer Witz“, sagt er ironisch, um seine Einstellung zu charakterisieren. Und der Mann, der Mozart und Wagner liebt, hat sein Comeback nötiger, als er selbst zugeben will. In Wien soll sich also entscheiden, ob Amerikas wichtigster lebender Dramatiker die heutige Dramatik noch einmal wirksam bereichern kann.
Die Welt [West-Berlin], 29. Dezember 1975