Das Licht der letzten Generation

Burgtheaterstudio
Lesedauer 6 Minuten

Es mag sich um ein komplexes Vorhaben handeln, wenn sich eine staatliche Kulturinstitution auf künstlerische Weise klimaaktivistischen Anliegen widmet. Das Burgtheater nimmt diese Herausforderung an und stellt sich den damit verbundenen Widersprüchen: Im Vestibül, das früher dem adeligen Publikum als marmorgeschmückter Eingang gedient hat, wird am 13. April 2024 DAS LICHT DER WELT von Raphaela Bardutzky zur österreichischen Erstaufführung gebracht.

Maximilian Pellert inszeniert dieses Stück mit Laienspieler*innen des Studioensembles und erzählt von Umweltaktivist*innen, die unter anderem mittels Schienenblockaden einen Wald in einem Braunkohleabbaugebiet besetzen. Die extremen Lebensbedingungen im Protestcamp und die damit verbundenen konfliktvollen, aber auch bestärkenden Gruppendynamiken werfen grundsätzliche, auch tabuisierte Fragen nach persönlicher und kollektiver Verantwortung auf. Zur Auseinandersetzung mit ebensolchen Fragen lädt auch der folgende Beitrag ein: Bernhard Kogler-Sobl, der als Aktivist der Letzten Generation eine der gegenwärtig prominentesten klimaaktivistischen Organisationen vertritt, wendet sich mit seiner Botschaft direkt an die Leser*innen des Burgtheater Magazins.

© Moritz Holzinger

Hallo, unbekannterweise!

Schön, dass du dir die Zeit nimmst und diese Zeilen liest. Es gibt da ein paar Fragen, die mich umtreiben und die ich dir schon länger stellen wollte.

 

Verdrängst du?

Letztes Jahr sind in Kanada 185.000 km2 Wald verbrannt. Das ist die Fläche von Österreich, Tschechien und Slowenien zusammengenommen. Die Brände waren so gewaltig, dass New York über Tage in schwarze Rauchschwaden gehüllt war. Das sind Bilder wie aus einem schlechten Hollywood-Film. Wir tun trotzdem so, als ginge uns das nichts an oder als würden wir uns etwas Unvermeidlichem fügen. Das Gegenteil ist der Fall und die Zusammenhänge sind wissenschaftlich gut erforscht: Solche Ereignisse werden wahrscheinlicher und sie werden extremer, je weiter wir unseren Planeten aufheizen. Wir können den Kollaps des Erdklimas aufhalten. Noch. Denn einzelne Elemente des Klimasystems werden immer mehr zum Selbstläufer. Waldbrände etwa setzen riesige Mengen Treibhausgase frei, die wiederum weitere Waldbrände wahrscheinlicher machen. Wir sind gerade dabei, Prozesse loszutreten, die wir nicht wieder einfangen können.

Verdrängst du auch, in welche Katastrophe wir uns da immer weiter hineinreiten?

Ich kann das richtig gut. Ich kann hervorragend mit Freunden über einem Glas Wein die Klimakrise diskutieren und gescheit daherreden, ohne dass es mich auch nur irgendwie emotional berührt. Jedenfalls habe ich das fünfzehn Jahre meines Erwachsenenlebens so betrieben. Dann erreichten die Klima-Proteste in den reichen Ländern ein neues Niveau. Auch in Österreich begannen Menschen so zu handeln, als ob ihre und unser aller Zukunft davon abhinge. Als ob wir alle die letzte Generation sind, die noch gegensteuern kann. (So formuliert es jedenfalls unsere Bundesregierung auf der ersten Seite ihres Regierungsprogramms.) Das machte mir das Verdrängen schwierig und stellte mich vor die Wahl: Entweder ich mache mir diese Menschen verächtlich, damit ich sie nicht ernst zu nehmen brauche, oder ich stelle meine eigene Untätigkeit in Frage.

Warum hältst du still?

Ich habe lange geschwiegen, weil es mir anmaßend schien, auch nur irgendetwas zu sagen. Denn es wurde mir erfolgreich eingebläut, man dürfe gesellschaftliche Veränderungen nur einfordern, wenn man massiv in Vorleistung geht. Konkret heißt das: „Wie kannst du es wagen, den Mund aufzumachen, obwohl du selbst nicht perfekt bist!“ (Ich erinnere mich lebhaft an Schlagzeilen, die von einer Schwedin handelten, die auf einer Zugreise nach Mitteleuropa ihr Jausenbrot einem Plastiksackerl entnahm. Weil sie Thunberg hieß, war das schon Skandal genug.) Der Vorwurf der Scheinheiligkeit ist absurd – besonders in einem System, in dem man gar nicht klimaneutral leben kann. Er hat aber seine Wirkung auf mich nicht verfehlt. Ich habe mich lange mundtot machen lassen. Dann haben Gespräche mit Menschen der Letzten Generation meinen Blick verändert.
Es braucht klare Regeln, die für alle gleichermaßen gelten. Es ist mein verfassungsmäßiges Recht und meine moralische Pflicht, diese einzufordern. Je mehr von uns dieses Recht in Anspruch nehmen und dieser Pflicht nachkommen, desto näher kommen wir einem Punkt, an dem Menschen- und Klimaschutz Realität wird. Bereits 2019 hat der österreichische Nationalrat mit über 80 % der Stimmen den Klimanotstand ausgerufen. Der Klimarat, der sich aus 88 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bürger*innen zusammen- setzt und statistisch Österreich repräsentiert, konnte sich 2022 auf 93 sozial ausgewogene Empfehlungen verständigen, die unser Land auf einen realistischen Pfad zur Klimaneutralität bringen würden.

Wir, die Letzte Generation, sind Bürger*innen, die sich um ihre Zukunft, die ihrer Kinder und die des Planeten sorgen. Obwohl die wissenschaftlichen Fakten zur Klimakrise seit Jahrzehnten bekannt sind, handelt die österreichische Regierung nicht entsprechend. Wir organisieren gewaltfreie, friedliche Proteste, um die österreichische Regierung dazu zu bewegen, auf gerechte Art auf den Klimanotstand zu reagieren.

Trotzdem wird uns noch immer eingeredet, es gäbe keine politischen Mehrheiten für derartige Maßnahmen. Die gesellschaftliche Mehrheit für mehr Klimaschutz gibt es schon lange. Aber wo bleibt die politische? Unsere Regierung fantasiert wahlweise von irgendwelchen Märchentechnologien, die uns in letzter Minute gleich einem Deus ex Machina vor dem Abgrund retten sollen oder redet das Problem klein, indem sie uns das „Klimaglück“ verspricht. Eine Mehrheit für tiefgreifende Maßnahmen kann es nur geben, wenn wir deren Notwendigkeit ehrlich kommunizieren. Die Letzte Generation nimmt diese Aufgabe auf sich. Sie ist der Feueralarm in einem brennenden Haus.

Was willst du deinen Kindern sagen?

Ich weiß nicht, ob du überhaupt Kinder hast. Ich jedenfalls zittere vor dem Tag, an dem mich meine beiden fragen werden: „Hey Papa, was hast du damals eigentlich gemacht in den 20er-Jahren? Du weißt schon, damals, als ihr das alles noch hättet verhindern können. Wieso habt ihr es so weit kommen lassen? Ihr habt es doch alle gewusst!“

Wenn wir tatsächlich scheitern, will ich an diesem Tag nicht irgendwas von Fahrrad fahren oder Mülltrennung stammeln müssen. Zugleich habe ich die Hoffnung, dass mir diese Frage niemals gestellt wird, weil wir es als Menschheit schaffen, das Ruder noch herumzureißen. Diese Hoffnung kannte ich bis vor einem Jahr nicht. Ich verdanke sie den vielen Menschen, die sich am friedlichen zivilen Widerstand beteiligen.


Und so bleibt mir eine letzte Frage: Was wirst du tun?

Zum Stück
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