Demokratie hat Zukunft
Ein Gespräch mit Oliver Rathkolb über Thomas Bernhards HELDENPLATZ und eine europaweite Demokratie-Studie.
Das Burgtheater und das Wiener Institut für Kultur- und Zeitgeschichte (VICCA) laden zu einer gemeinsamen Veranstaltung aus Anlass einer von VICCA, der Alfred Landecker Stiftung in Berlin, dem Fritz Bauer Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien in Auftrag gegebenen Umfrage in sieben europäischen Ländern zu Autoritarismus, Geschichtsbildern und demokratischen Dispositionen. Diese repräsentative Befragung hat 2022 nach 2019 zum zweiten Mal stattgefunden und wir präsentieren in einer Matinee sowohl die Ergebnisse dieser Untersuchung als auch literarische Texte, um die wir Autor*innen aus den Ländern der Studie gebeten haben. Die Veranstaltung findet in einem Jahr statt, in dem es auf der halben Welt zu wichtigen und richtungsweisenden Wahlen kommt, und sie findet am 17. März statt, also vier Tage nach dem Jahrestag des sogenannten „Anschlusses“ Österreichs an Nazideutschland 1938. Einen Monat zuvor, am 17. Februar, hat Frank Castorfs Inszenierung von Thomas Bernhards letztem Stück HELDENPLATZ Premiere, in dem der 13. März 1938 ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Prof. Oliver Rathkolb hat die Veranstaltung angeregt. Wir haben uns mit ihm zu einem Gespräch über Erinnerung und ihre Bedeutung für die Zukunft der Demokratie getroffen.
Für mich als Gegenwartshistoriker wie auch als politisch denkender Mensch ist die Auseinandersetzung mit solchen historischen Traumata und ihrem Fortwirken wichtig. Wir haben in empirischen Studien schon seit 2007 nachgewiesen, dass Menschen, die sich selbstbewusst, offen und ohne Wenn und Aber auch mit den dunklen Kapiteln der eigenen nationalen Geschichte beschäftigen, ein besseres Demokratiebewusstsein haben. Die Reflexion von und die Debatte über Geschichte, bei der auch das Theater eine zentrale Rolle spielt, ist politische Bildung, ist Arbeit an der Demokratie der Gegenwart und Zukunft.
„Eine unserer großen Schwächen als Demokratie liegt in der Bildungspolitik.“
Ich glaube, eine unserer großen Schwächen als Demokratie liegt in der Bildungspolitik. So gut und wichtig die Investitionen in Universitäten und in die Forschung sind – wir müssten unser Augenmerk auch viel stärker auf die Basis, auf die Kindergärten und Grundschulen richten, als wir dies bisher tun. Hier brauchen wir eine gute Bezahlung der Mitarbeiter*innen und eine gezielte Förderung von Mehrsprachigkeit, um nur ganz wenige Beispiele zu nennen. Das würde eine größere Chancengleichheit schaffen, wäre daher demokratiepolitisch ungemein wichtig und natürlich gleichzeitig auch Arbeit am Fundament für exzellente Universitäten und Spitzenforschung. Da wird meiner Auffassung nach viel zu wenig investiert.
„Thomas Bernhard konnte nicht ertragen, dass das, was man 1988 wissen konnte, in der österreichischen Gesellschaft nicht wahr- und ernstgenommen wurde.“
Oliver Rathkolb
geboren 1955 in Wien, Studium der Rechtswissenschaft und Geschichte an der Universität Wien, Professor für Zeitgeschichte und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte ebendort. 1985–2003 wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno Kreisky Archiv, 2005–2008 Gründungsdirektor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit. Herausgeber der Fachzeitschrift zeitgeschichte sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Haus der Europäischen Geschichte des Europäischen Parlaments.