Schnörkellos, Ehrlich, Existenziell
Die Dramatikerin Julie Maj Jakobsen ist eine der markantesten Stimmen des dänischen Theaters. Mit ABGEFUCKT wird ab dem 19. November 2023 im Vestibül und mobil erstmals eines ihrer Theaterstücke in Österreich aufgeführt. Wovon handeln ihre Dramen und was treibt sie an?
Jakobsen schreckt in ihren Theaterstücken nicht vor politisch kontroversen Themen zurück. In den letzten Jahren erhielt besonders ihre „Europa-Trilogie“ – bestehend aus den Dramen „Abendland“, „Nach dem Brand“ und „Morgenland“ – große Aufmerksamkeit. Sie stellt darin Fragen nach dem Selbstverständnis von Europäer*innen im Hier und Jetzt. In „Abendland“ kommt es an einer Autobahnraststätte zur Konfrontation zwischen Personen verschiedener sozialer Schichten und Herkunft. Als eine Gruppe fremder Menschen auftaucht, werden kurzerhand die Türen verschlossen. Ähnlich brutal agieren die Figuren in „Nach dem Brand“, das in einem Vorstadt-Ghetto spielt. Im letzten Stück der Trilogie, „Morgenland“, wendet sich Jakobsen schließlich der Generation Identitær zu. Jakobsens „Europa-Trilogie“ gibt Aufschluss über ein zentrales Thema ihres dramatischen Werks: „Wir leben in einer extrem individualisierten Zeit, in der der Einzelne im Mittelpunkt steht. Wie verhält sich das zum Leben in einer Gesellschaft und einer Gemeinschaft? Wo liegen die Grenzen unserer Verantwortung?“ Ihr Schreibstil ist schnörkellos, ehrlich, existenziell. Auch in ihren Jugendstücken zeichnet sie bewegende Portraits junger Menschen und ihrer Identitätskrisen in der Gegenwartsgesellschaft. Dabei nimmt sie die Perspektive der Jugendlichen ebenso wie die der Erwachsenen ein. „Dass sich das Publikum gesehen fühlt – das ist es, was ich selbst mag – wenn ich mich in etwas wiedererkenne, das nicht ich bin oder mit dem ich mich nicht beschäftigt habe“, so die Dramatikerin.
„Dass sich das Publikum gesehen fühlt – das ist es, was ich selbst mag – wenn ich mich in etwas wiedererkenne, das nicht ich bin oder mit dem ich mich nicht beschäftigt habe“
In ABGEFUCKT eröffnet Jakobsen dem Publikum einen Einblick in die Innenwelt von fünf Menschen, die sich erstmals mit finanziellen Problemen auseinandersetzen müssen. Emil und Emma sind beide etwa 15 Jahre alt. Beide haben gelernt, dass nur die dazugehören, die einen persönlichen Stil haben. Emil ist der, der alles hat – das neueste Smartphone, modische Kleidung, Spielekonsolen. Und auch für Emma ist die Frage, wer sie eigentlich ist, zunächst von Äußerlichkeiten abhängig. Bald schon wird ihre Welt jedoch ins Wanken gebracht. Emils Mutter hat sich hoch verschuldet, wodurch Emil binnen kürzester Zeit alles verliert. Auf einmal sehen seine Freunde ihn an wie einen Aussätzigen. Emmas Eltern, Anna und Ulrich, geraten währenddessen in eine schwere Ehekrise. Anna wurde entlassen, traut sich jedoch nicht, es ihrem Mann zu sagen. Immer tiefer gerät sie in ein Geflecht aus Lügen, nur um die Fassade von Erfolg und Wohlstand aufrecht zu erhalten.
Schonungslos und doch voll Empathie lässt Jakobsen diese Geschichte von nur zwei Darsteller*innen erzählen, die in wechselnden Rollen sowohl Emma und Emil als auch deren Eltern verkörpern. Auf diese Weise wird deutlich, wie ähnlich die Probleme von Jugendlichen und Erwachsenen sind und welche Auswirkungen der ständige Zwang zu Konsum und die damit verbundene Suche nach Anerkennung auf sie alle gleichermaßen hat. Dass die Kapitalismus-Spirale zu einem nichtssagenden Selbstbild und in letzter Konsequenz zu einer fatalen Klassifizierung von Menschen führt, diese Erkenntnis ist der Kern von ABGEFUCKT und eine wesentliche Botschaft von Julie Maj Jakobsens gesamtem dramatischen Schreiben.
Porträt der Autorin von Christina Schlögl.
Julie Maj Jakobsen
geboren 1982, schloss 2010 das Dramatiker*innenprogramm am Theater Aarhus ab. Seitdem wurden ihre Stücke an diversen dänischen Theatern gezeigt. Sie ist Hausautorin am Aalborg Theater. 2021 wurde ihr der Allen-Preis verliehen, der ihr gesamtes Werk ehrt.