Fragebogen #8: Die Nebenwirkungen
Am 5. Oktober 2023 besuchte der Journalist, Autor und Podcaster Andreas Sator eine Vorstellung von Jonathan Spectors Stück DIE NEBENWIRKUNGEN, das in der Inszenierung von Jan Philipp Gloger seine deutschsprachige Erstaufführung am Burgtheater feierte und auf tragikomische Weise von einer Privatschule erzählt, an der in Folge einer Mumps-Epidemie ungeimpfte Schüler*innen nicht mehr am Unterricht teilnehmen dürfen sollen. Wir haben ihn gebeten, seine Eindrücke mit uns zu teilen und folgenden Fragebogen auszufüllen.
„Hart in der Sache und freundlich im Ton“
Was haben Sie als Letztes getan, bevor Sie sich auf den Weg ins Theater gemacht haben?
Einen Burrito gegessen und ein Bier getrunken.
Von Ihrem Podcast erwartet man, dass er einem die Welt erklärt. Was erwarten Sie von Theater?
Ich möchte emotionalisiert werden. Lachen, weinen oder mich ärgern.
Das Stück DIE NEBENWIRKUNGEN von Jonathan Spector ist 2018 entstanden.
Hat sich Ihre Haltung gegenüber Impfungen in den letzten fünf Jahren verändert?
Ich beschäftige mich schon länger mit globaler Armut und empfand Impfungen auch deshalb schon immer als eine der größten Errungenschaften der Moderne. Kaum etwas hat so viele Leben gerettet. Das ist mir noch einmal bewusster geworden.
Ist DIE NEBENWIRKUNGEN überhaupt ein Stück über das Thema ‚Impfen‘? Was war Ihr Eindruck?
Für mich war es viel mehr. Es ging um Gruppendynamiken, Abgrenzung, das Verlangen gehört und respektiert zu werden. Also um das Menschsein.
Haben Sie gelacht? Wenn ja, wissen Sie noch, an welchen Stellen besonders?
Fast durchgehend. Der Schulrat hat es mir angetan, seine übertriebene, spießige Rücksichtnahme – eine herrliche Milieustudie. Don hat mich begeistert, seine Gestiken, seine Körperhaltung, seine Art zu sprechen: Das hat mich sehr erheitert.
Thomas Bernhard hat gefragt: „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“ Was würden Sie sagen?
Ein bisschen etwas von beidem.
Erinnern Sie sich an einen Satz im Stück, den Sie in Debatten selbst schon oft gesagt haben?
Leider nein.
Die Figuren in dem Stück bemühen sich um eine Kultur des Gesprächs und der Entscheidungsfindung, die vorbildhaft sein soll. Bescheidene Frage an einen Welterklärer: Was muss sich an unserer Art und Weise zu kommunizieren und zu entscheiden dringend ändern und wie geht das?
Ich würde das zweiteilen. Es geht einmal um Institutionen, die Gesprächen einen Rahmen geben und dann darum, was wir als Individuen tun können. Institutionell war die Schule schwierig aufgesetzt. Nur im Konsens zu entscheiden und alle Stimmen zu hören, ist nicht zwingend sinnvoll. Genauso ist es mit der digitalen Infrastruktur. Es braucht stärker an sinnvollem Diskurs orientierte soziale Medien. Wenn die Institutionen nicht stimmen, hat es das Individuum schwer.
Auf der individuellen Ebene ist Selbstkritik essenziell für gute Gespräche. Sich selbst, seinen eigenen Positionen und seinem Verhalten skeptisch gegenüberzustehen, macht gute Gespräche viel wahrscheinlicher. Natürlich kann man immer darauf herumreiten, dass das Gegenüber das doch auch nicht tut. Aber irgendjemand muss anfangen – und plötzlich hört man sich besser zu.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie wissenschaftlich kontroverse Positionen erklären müssen?
Wissenschaft lebt von Kontroverse, von Kritik, von verworfenen Thesen. Hart in der Sache und freundlich im Ton. Die wissenschaftliche Kontroverse ist nicht das Problem, sondern essenziell für Fortschritt. In der öffentlichen Debatte kontroversiell diskutierte Themen sind das in der Wissenschaft oft gar nicht. Dass Gentechnik in der Landwirtschaft keine große Gefahr für Mensch oder Umwelt darstellt, ist etwa Konsens unter Forscher*innen. In der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum hingegen ist das heiß umstritten.
Wenn ich so ein Thema kommuniziere, versuche ich immer zuerst an die Intuition zu sprechen. Wenn ich vor Umwelt-NGOs spreche, die sehr kritisch sind, dann spreche ich zuerst die negativen Emotionen an, die einer Sache entgegenspringen, und hantle mich dann nach und nach zu den Fakten vor. Aber direkt mit Fakten herumzuwerfen, ohne den Elefanten im Raum – die Gefühle, Ängste, Sorgen – anzusprechen, führt zu nichts.
Angenommen, Sie könnten sich eine*n Gesprächspartner*in wünschen, um in Ihrem Podcast über diesen Abend zu reden: Wer wäre das und wie würde der Titel der Episode lauten?
Erklär mir, wie du dich auf deine Rolle vorbereitest, Markus Hering.
Andreas Sator
geboren 1990, arbeitet als Journalist, Autor und Podcaster in Wien. Für die österreichische Tageszeitung DER STANDARD schreibt er in der Kolumne „alles gut?“ zu Klima, Natur und Wirtschaft. Sein 2018 gegründeter Podcast „Erklär mir die Welt“ basiert auf Gesprächen mit Expert*innen und zählt mit rund 30 000 wöchentlichen Downloads zu den beliebtesten Podcasts in Österreich. Seine Mission mit dem Podcast: „Die Welt ein bisschen besser zu verstehen, möglichst viele auf meinem Weg mitzunehmen und so Wissen einfach für alle zugänglich zu machen.“