OHMANNOSPHÄRE

von Ferdinand Schmalz Lesedauer 7 Minuten

Am 15. Dezember feiert HILDENSAGA. EIN KÖNIGINNENDRAMA von Ferdinand Schmalz in der Regie von Jan Bosse Premiere. Der steirische Dramatiker und Bachmann-Preisträger ist dem Burgtheater-Publikum bestens bekannt. Mit HILDENSAGA legt er eine Neudeutung des Nibelungenlieds vor, die das Epos aus der Perspektive der beiden „Hilden“ Kriemhild und Brünhild erzählt. Für das Burgtheater-Magazin verfasste Ferdinand Schmalz diesen Text über die „Mannosphären“ unserer Zeit.

Portrait Ferdinand Schmalz
© Apollonia T. Bitzan

Ingeborg Bachmanns Lachen, während sie dem Journalisten erklärt, dass die Männer unheilbar krank seien. „Sie sind es, wissen Sie das nicht? Alle.“

Eine Frauenministerin, die dem Begriff des Feminismus nichts abgewinnen kann.

Ein Stadion voller Rammsteinfans. Kurz vor dem Auftritt. Die Aufregung. Der Schweiß. Die vielen Hirne, die grad denken: „Jetzt erst recht.“ Ein paar, die denken: „Man muss das Werk vom Künstler trennen.“ Und noch ein paar die denken: „War da was?“

Der Film über eine Plastikpuppe mit körperfeindlichen Proportionen, der alle Kassenrekorde sprengt.

Ein frisch entdecktes Grab einer nordischen Kriegerin, die mit all ihren Waffen und prunkvollen Grabbeigaben beigesetzt wurde.

Ein Video einer schwer bewaffneten ukrainischen Soldatin im Videokanal einer deutschen Wochenzeitschrift, die sagt: „Wenn wir bedroht werden, dann werden wir zu Wölfinnen.“

Eine feministische Ikone, die jetzt gegen Transpersonen hetzt.

Das Krächzen von Herbert Grönemeyer irgendwo im Hintergrund: „Wann ist ein Mann ein Mann?“

Ein rechtsextremer Aufmarsch vor einem queeren Kulturzentrum, in dem eine Dragqueen-Lesung für Kinder stattfindet.

Eine amerikanische Historikerin, die in einem Interview kurz nach Ausbruch des Ukrainekriegs ihrer Hoffnung Raum gibt, dass dieser Konflikt auch den Kulturkonflikt des Westens lösen werde, da mit Selenskyj endlich wieder ein liberaler, patriotisch-männlicher Held die Bühne betrete.

Eine Schwitzhütte auf einem Männerseminar tief in den obersteirischen Bergen. Darin die fünf Seminarteilnehmer, die keuchen, schwitzen und sich die Haut von ihren Leibern schälen, und er, der Chefschamane, der jetzt zu einem sogenannten Steirer-Haka ansetzt: „I bin a Mau, i hob a Kroft, i gib an Schuuutz!“ Mit den Händen auf den Brustkorb getrommelt, die Zunge weit aus dem Mund gestreckt. Einer der Männer da im Zelt, der schon die esoterischen Achtsamkeitsübungen kaum ausgehalten hat, für den jetzt aber bei diesem dilettantischen Maoriritual auf Steinsteirisch endgültig Schluss ist, auch keine Lust mehr hat auf das gemeinsame Schlachten eines Huhns am Nachmittag. Der einfach nur mehr raus will. Raus aus der Schwitzhütte. Raus aus diesen klischierten Geschlechterrollen. Raus aus seiner eigenen Haut.

Eine Schuldirektorin, die einspringen darf, nachdem ein Mann den Karren in den Dreck gefahren hat.

Eine Burgtheaterdirektorin, die einspringen darf, nachdem ein Mann den Karren in den Dreck gefahren hat.

Eine Kanzlerin, die einspringen darf, nachdem ein Mann den Karren in den Dreck gefahren hat.

#barbiebotox

Eine Kandidatin, die nach allgemeiner Meinung viel zu verbissen wirkt.

Ein angehender Präsident, der prahlt: „You can do anything. Grab them by the pussy.“

Ein Femizid nach dem anderen.

Die Millionen, die nicht in Männerarbeit investiert werden.

Ein Chor aus hunderten Nahostkonfliktverstehern, die uns lauthals schreiend die Welt erklären.

Ein Wunsch nach Ordnung, der alles ins Chaos stürzt.

Ein verängstigter Familienvater in der Wiener Vorstadt, der den ganzen Tag damit verbracht hat, das perfekte Dinner für seine Frau zuzubereiten, weil er ihr endlich das Versprechen abringen will, ein drittes Kind zu zeugen, um dem großen demografischen Wandel, wie er es nennt, etwas entgegenzusetzen.

Ein Wunsch nach Ordnung, der alles ins Chaos stürzt.

Ein junger Politikwissenschaftsstudent mit strenger Frisur und wirrem Blick, der sich von der Frauenwelt betrogen fühlt. Er lebe in unfreiwilligem Zölibat, da die Frauen, zumal diejenigen, die er auf seinem Attraktivitätslevel einstuft, und auch darunter, lächerlicherweise ihre Hälse nach weitaus attraktiveren Typen strecken würden. Dass das ein Resultat der sogenannten sexuellen Revolution und der sogenannten Emanzipation der Frau sei. Dass er sich aber nun informiert habe, was sexuelle Botenstoffe anlange, Pheromonpräparate, die, das habe er nun schon in einigen fundierten Kommentaren auf Onlineplattformen gelesen, eine unwiderstehliche Wirkung auf sie, die Frauenwelt, habe. Die Biologie siege dann doch über die Auswüchse der fehlgeleiteten Geisteswissenschaften. Schon nächstes Wochenende wolle er zu, wie er es nennt, Feldversuchen in einem Lokal namens Studialm übergehen.

Das Deckblatt einer Nibelungen-Handschrift, auf dem steht: „Dies ist Kriemhilds Buch.“

Ein Autor, der sich immer wieder dafür rechtfertigen muss, dass er, zumal als Mann, die Frauen in den Mittelpunkt der Handlung stellt.

Ein Fernsehphilosoph, der mit großer Geste die rhetorische Frage stellt, ob Frauen denn die besseren Menschen seien. Er, der Fernsehphilosoph, glaube nämlich nicht.

Die deutscheste aller deutschen Stoffgeschichten.

Eine Landesregierung, die den geschlechtergerechten Sprachgebrauch verbietet.

Ein Lektor und Autor, der beschließt, eine Anthologie über kritische Männlichkeit herauszugeben, um endlich über seine eigene Täterschaft selbstkritisch zu schreiben, obwohl das Opfer ihn mehrmals gebeten hat, das zu unterlassen.

Ein in die Jahre gekommener Zuhälter, der jetzt erfolgreich einen TikTok-Kanal betreibt.

Ein Bürgermeister, der wegen Vergewaltigung rechtskräftig verurteilt wurde. Während rund hundert Dorfbewohner am Hauptplatz für dessen Freilassung demonstrieren.

Ein Comedian, der, nachdem seine schon in den 90ern äußerst sexistischen Witze heute mit Triggerwarnung ausgestrahlt werden, sich nun als ein Kämpfer für das Recht auf freie Meinungsäußerung inszeniert und in so gut wie allen deutschsprachigen Feuilletons sich darüber auslassen darf, dass er ja quasi nicht mehr zu Wort komme.

Ein Gestern, das sich für ein Morgen hält.

Ein Neofaschist, der in seinem Live-Stream vom Nahen des europäischen Bürgerkriegs schwafelt. Man müsse nur die Zeichen der Zeit lesen. Die Kriege da draußen rücken näher, kaum eine Zeitung, die nicht über Frontverläufe berichten würde. Dass es nur mehr eine Frage der Zeit wäre, bis auch Europa brenne. Dass man jetzt beginnen müsse, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Dass gerade der verweichlichte Westen wieder lernen müsse, wehrfähig zu werden. Dass das aber heiße, endlich die Irrwege der linksliberalen Medienelite zu verlassen. Dass es nun gelte, eine wehrfähige Männlichkeit wiederzuentdecken, die durch das Verschwimmen der Geschlechtergrenzen verloren gegangen sei. Dass es vielen Männern da draußen so gehe wie ihm, dass ihn das Gefühl nicht loslasse, gerade erst die rote Pille geschluckt zu haben, die ihm die Augen geöffnet habe. Für die Ungerechtigkeit, die dem männlichen Geschlecht angetan wurde und wird. Dass aber eine Zeit kommen werde, wo sich die natürlichste Wahrheit nicht mehr verschweigen ließe. Dass er nicht wenige Frauen kenne, die in der Tatsache, dass Männer mehr verdienen, keine Ungerechtigkeit sehen, sondern im Gegenteil, die es als ein Privileg sehen würden, die Lohnarbeit den Männern zu überlassen, während sie ihr Glück im Schoß der deutschen Kernfamilie finden würden.

Eine amerikanische Influencerin, die sich für die Abschaffung des Frauenwahlrechts stark macht.

All dieser Schwachsinn wie er sich butterweich über sämtliche Social-Media-Kanäle verschmiert.

Ferdinand Schmalz

geboren 1985 in Graz, lebt und arbeitet in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Retzhofer Dramapreis 2013 für das Stück „am beispiel der butter“. Einladung zu den Mülheimer Theatertagen 2014. Wahl zum Nachwuchsautor 2014 von „Theater heute“. Nominierung für den Mülheimer Dramatikpreis 2016 für „dosenfleisch“. (Ur-)Aufführungen der Stücke AM BEISPIEL DER BUTTER (2014), DOSENFLEISCH (2015), DER HERZERLFRESSER (2016) und JEDERMANN (STIRBT) (2018) am Burgtheater Wien. Ingeborg-Bachmann-Preis 2017 für den Text „Mein Lieblingstier heißt Winter“. Uraufführung von HILDENSAGA. EIN KÖNIGINNENDRAMA bei den Nibelungenfestspielen in Worms 2022.

Infos zum Stück
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hildensaga. ein königinnendrama

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Im Rahmen der Produktion von Cornelia Funkes HERR DER DIEBE begeben wir uns auf die Suche nach der Antwort, warum man so schnell wie möglich erwachsen werden sollte.

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Am 15. Dezember feiert Ferdinand Schmalz' Stück HILDENSAGA. EIN KÖNIGINNENDRAMA im Akademietheater Premiere. Für unser Magazin verfasste Ferdinand Schmalz einen Text über die „Mannosphären“ unserer Zeit.
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