Schreibweisen #7: Die Hoffnung auf ein besseres Leben

Schreibweisen
von Anne Aschenbrenner Lesedauer 2 Minuten

Schreibweisen gibt es so viele, wie es Autor*innen gibt. In dieser Rubrik geben wir Einblick in ihre Arbeitsprozesse. Dieses Mal mit einem Porträt von Thomas Perle, dessen Stück KARPATENFLECKEN am 7. Mai 2023 im Burgtheater Vestibül zur Österreichischen Erstaufführung kommt.

Weiße Illustrationen zu den Themen von Die gefesselte Phantasie auf schwarzem Hintergrund
© Julia Kemperman
In der Rubrik SCHREIBWEISEN geben Theatermacher*innen Einblicke in ihre Arbeitsprozesse. Wie entsteht ein neues Stück?

430.101 Rumäniendeutsche kamen zwischen 1950 und 2005 als Aussiedler*innen beziehungsweise Spätaussiedler*innen aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland. Unter ihnen auch die Familie des Autors Thomas Perle, die 1991 aus Vișeu de Sus im Norden Rumäniens nach Deutschland emigrierte. Vișeu de Sus oder besser gesagt: Oberwischau. Es waren deutschsprachige Einwanderer*innen aus der Gegend um Gmunden, die sich vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in der Region entlang der Karpaten in der Slowakei, der Ukraine und Rumänien ansiedelten, um im Forst- und Bergbau zu arbeiten: Man nannte sie die Karpatendeutschen.

Thomas Perle, geboren 1987, wuchs, wie in seiner Geburtstadt Vișeu de Sus / Oberwischau nicht unüblich, mehrsprachig auf: Die Familiensprache ist Rumänisch, mit dem väterlichen Teil der Familie sprach man Ungarisch, mit dem mütterlichen Teil Zipserisch, eine aus historischen Einflüssen entstandene Sprachfusion aus dem Ungarischen, dem Teitschen, Ukrainischen, Jiddischen usf. „Ich versuche, die Sprache zu bewahren“, erzählt Thomas Perle und hat ihr mit seinem Stück KARPATENFLECKEN ein Denkmal gesetzt: „Ausgehend von dem Rechtsruck, den wir seit mehreren Jahren beobachten, wollte ich ein Stück schreiben, das das Thema Nationalismus und Identität historisch einordnet.“

„Ich versuche, die Sprache zu bewahren“

KARPATENFLECKEN erzählt die Lebensgeschichte dreier Frauen, die aus Oberwischau stammen, Nachfahren jener „teitschen“ Einwanderer*innen und zeitlebens einer Minderheit zugehörig. Ihre Biografien fügen sich zu einem historischen Panorama, das vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Fall des Eisernen Vorhangs und den Hoffnungen auf ein besseres Leben im Westen reicht – ein Panorama, das mit einer innereuropäischen Migrationsbewegung beginnt und zwingend in die unmittelbare Gegenwart führt.

 

„Ich versuche, die Konflikte zwischen verschiedenen Nationen auf den kleinsten Nenner zu bringen, und zu zeigen, dass es in Mitteleuropa ständig Fluchtbewegungen gibt und es schon immer gab. Niemandes Familie ist an einem Ort seit zweitausend Jahren, wie die Idee des Nationalismus behaupten will.“

 

„karpatenflecken“ wurde 2019 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet, einem der renommiertesten Nachwuchspreise für zeitgenössische Dramatik im deutschsprachigen Raum. Die mit dem Preis verbundene Aufführung am Burgtheater im Rahmen der Nachwuchsförderung des Burgtheaterstudios war für die Spielzeit 2019/20 geplant und musste aufgrund der Pandemie mit jeder Corona-Welle aufs Neue verschoben werden. Im Mai findet nun endlich die Premiere statt. „Wobei ich es erst beim Premierenapplaus glauben werde“. Letztendlich, so Thomas Perle, hat das Stück durch die Pandemiejahre noch mehr an Relevanz gewonnen, die Bedeutung von nationalstaatlichen Grenzen sei für viele Menschen deutlicher spürbar geworden.

 

Anne Aschenbrenner ist Redakteurin des Burgtheater Magazins und leitet das Burgtheater Digital Ressort. Mitarbeit: Alisha Schmidt.

Thomas Perle
© Volker Schmidt

Thomas Perle

wuchs in Nürnberg auf. 2008 kam er für sein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften nach Wien. Bereits während seines Studiums veröffentlichte er Texte, in denen er Themen wie Flucht, Pluralität und Sprache behandelt. 2013 erhielt Perle für seinen Kurzprosatext „wir gingen weil alle gingen.“ den exil-Literaturpreis. Zwei Jahre später dann das Startstipendium für Literatur durch das österreichische Bundeskanzleramt. Es folgten zahlreiche weitere Veröffentlichungen, die bereits an mehreren Theaterhäusern zur Aufführung kamen. KARPATENFLECKEN in der Regie von Mira Stadler feiert am 7. Mai Premiere im Burgtheater Vestibül.

Zum Stück
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karpatenflecken

Vestibül
Thomas Perle
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Schreibweisen #7: Die Hoffnung auf ein besseres Leben

Schreibweisen
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