BURGTHEATER MAGAZIN Mr Harding, was war der Anstoß für Sie, ein Buch über den Mordfall Alexander Litwinenko zu schreiben?
LUKE HARDING Mein Interesse an dem Fall wurde geweckt, weil er einen Schatten auf mein Leben und das meiner Familie geworfen hat. Nachdem ich 2007 zum Leiter der Moskauer Büros des Guardian ernannt worden war, unternahmen wir eine Reise nach Moskau. Der Mordfall Litwinenko war zu der Zeit ein großes internationales Drama. Das Foto von Litwinenko mit seinen blauen Augen im Londoner Krankenhausbett ist eins der prägendsten Bilder der Putin-Ära. Später stellte sich heraus, dass meine Frau Phoebe und ich mit einem der Flugzeuge geflogen waren, die die Mörder für den Transport von Polonium benutzt hatten. Für mich waren die folgenden Jahre geprägt von meinen beruflichen Versuchen, herauszufinden, was vor sich ging, nebst unserer Ankunft als Familie in Moskau. Bei Treffen mit dem britischen Botschafter war die erste Frage: Wer hat dieses Verbrechen verübt? Und die Antwort: der russische Staat. Um Polonium zu bekommen, braucht man einen Atomreaktor. Man kann es nicht in der Apotheke oder von irgendeinem Mann kaufen. Man muss ein Staat sein, um so etwas zu produzieren. Diese Angelegenheit wollte ich untersuchen. Wir wurden überwacht, ich wurde vom russischen Außenministerium gewarnt und 2011 schließlich ausgewiesen. Zurück in Großbritannien begann ich den Austausch mit Marina Litwinenko, der Witwe Alexander Litwinenkos. Sie ist die warmherzigste, mitfühlendste Person, und war fest entschlossen, herauszufinden, was mit ihrem Mann passiert war. Ironischerweise war es nicht nur die russische Regierung, die alles leugnete. Es war auch die britische Regierung, die versuchte, die Beziehungen zu Russland wiederherzustellen und sich auf den Handel zu konzentrieren. Dann passierte 2014 Putins erster Einmarsch in die Ukraine, und es gab eine öffentliche Untersuchung. Als ich im Gericht saß, im Royal Court of Justice in London, war es, als hätte man die Geschichte Litwinenkos zwar gekannt, sie aber bislang in schwarz-weiß gesehen. Plötzlich war alles in Farbe. Man sah förmlich vor sich, wie sich die beiden Killer durch die Straßen Londons bewegten. Wie sie vergeblich versuchten, Frauen in der Diskothek aufzureißen, wie sie im Hotelzimmer waren und Polonium in den Abguss gossen, und den dunklen Moment im Millennium Hotel, bevor sie das Gift in Litwinenkos Tee träufelten. Sie waren Attentäter, aber nicht wie in Filmen; sie machten ihre Arbeit miserabel. Ich habe versucht, in meinem Buch diesen Ton zu treffen: Es geht nicht darum, den russischen Staat zu unterschätzen, aber man muss ihn akkurat darstellen. Er ist ein Monster, aber ein dummes Monster.