Die Authentizität des Dazwischens

Bilder vom Theater
Lesedauer 5 Minuten

Der in Berlin lebende Künstler Navot Miller dokumentiert mit Vorliebe alltägliche, scheinbar nebensächliche Momente, in denen Intimität oder Lust sichtbar werden. Wir haben ihn eingeladen, inspiriert von einem Probenbesuch der Inszenierung ENGEL IN AMERIKA ein Bild zu malen. Das entstandene Kunstwerk zeigen wir hier.

Kunstwerk von Navot Miller
© Navot Miller
Ein Gespräch mit Navot Miller
BURGTHEATER MAGAZIN Lieber Navot, kannst du dich als Künstler kurz vorstellen? Wer bist du, wie arbeitest du, und was interessiert dich in deiner Arbeit?
NAVOT MILLER Ich bin bildender Künstler. Seit etwa zwei Jahren arbeite ich vor allem mit Ölfarben, ich würde mich aber keinen Kunstmaler nennen. Das ist nicht mein Hintergrund und darauf will ich mich nicht beschränken. Mich interessiert so viel anderes. Ursprünglich bin ich von Israel nach Berlin gezogen, um Architektur zu studieren. Ein Jahr lang habe ich dort Deutsch gelernt, zwei Jahre habe ich mich für das Architekturstudium beworben und bin abgelehnt worden, dann habe ich mich mit derselben Bewerbungsmappe parallel für Freie Kunst beworben, und das hat sofort geklappt. Ästhetisch sind meine Arbeiten geprägt von meinem Interesse an Architektur. Dazu liebe ich Farben, Symmetrien, klare Linien, gut durchdachte Räume. Anordnungen, die einen Sinn ergeben. Darum liebe ich zum Beispiel auch öffentliche Verkehrsmittel. Tunnel, Brücken. Menschen. Wenn mich etwas ästhetisch anspricht und mein Interesse erweckt, fotografiere ich es. Ich dokumentiere ständig Situationen auf Fotos und Videos. So finde ich Vorlagen für meine Gemälde. Deshalb prägt mein Leben auch das, was ich male. Die Bilder haben einen persönlichen oder autobiografischen Hintergrund, etwas Intimes. Meine Arbeiten sind die Erweiterung meines Selbst. Ich zeige Orte, an denen ich war, Menschen, denen ich begegnet bin, Liebhaber, meine Familie, den Himmel, meinen besten Freund, mit dem ich gerade einen Streit hatte. All das nehme ich auf und lasse es in meine Arbeit einfließen. Bevor ich mit den Ölfarben angefangen habe, habe ich vorwiegend mit Pastellkreide auf Papier gezeichnet. Viele Leute sagten mir, ich solle auf Leinwand malen. Zuerst machte mich das nervös, weil ich mit den Ergebnissen meiner zeichnerischen Arbeit zufrieden war. Ich schob es immer weiter auf, das Medium zu wechseln, bis ich erstmals ein eigenes Atelier in Berlin beziehen konnte.
Du hast eine Probe von ENGEL IN AMERIKA in der Regie von Daniel Kramer besucht, der dieses vorwiegend realistische Stück in einer mythischen und opulenten Weise inszeniert. Konntest du mit deinem persönlichen, dokumentarischen Ansatz damit etwas anfangen?
Die Ästhetik der Produktion, wie ich sie auf der Probe gesehen habe, ist mir nicht fremd oder meiner eigenen gegenläufig. Trotzdem habe ich genossen, dass es eben eine Probe war, die ich gesehen habe, und dass ich Daniel Kramer beim Regieführen zusehen konnte. Mich interessiert besonders das Prozesshafte, dieses Gefühl, behind the scenes zu sein. Wenn ich an eine Modenschau denke, sehe ich weniger die Models auf dem Laufsteg vor mir als die Momente zwischen den Auftritten, die Pausen, den internen Druck und die Entspannung. Auf einer Sexparty würde ich nicht den Sex selbst dokumentieren; wer einen Blowjob bekommt oder Drogen nimmt, sondern die besondere Authentizität des Dazwischens: Wenn jemand Schwänze lutscht und dann einen Schluck Wasser trinkt, weil er durstig ist, interessiert mich als Künstler dieser Moment am meisten. Bei einer Probe zuzusehen, ist also eine große Ehre, weil ich einen Einblick darin bekomme, wie etwas entsteht.
Kunstwerk von Navot Miller
Bilder vom Theater - Navot Miller
© Navot Miller
War es dein erster Besuch auf einer Theaterprobe?
Ich bin in Israel zwar nicht im Kibbuz aufgewachsen, aber zu einer Kibbuzschule gegangen, wo ich als Kind und auch als Jugendlicher Theater gespielt habe. In meiner Erziehung war Kultur sehr wichtig. Aber in meinem Erwachsenenleben, seit ich in Berlin wohne, habe ich nur noch als Zuschauer Theaterstücke gesehen.
Und kanntest du ENGEL IN AMERIKA schon?
Ich hatte das Stück gelesen, weil es immer wieder vorgekommen war, dass jemand, den ich kannte, darüber sprach und sich darauf bezog – wenn es um die Aids-Krise ging oder darum, wie in dem Stück das Judentum vorkommt. Ich wollte unbedingt wissen, worum es geht, um mitreden zu können, und ich hatte den Eindruck, dass dieses Stück zu meiner persönlichen Bildung gehört, sei es, weil ich selbst schwul oder weil ich jüdisch bin. Ich habe außerdem eine für mich wichtige Zeit in New York verbracht, und auch die Stadt wird in diesem Stück porträtiert. Ich habe mich von daher, wenn nicht sentimental, doch geehrt gefühlt, hier daran teilhaben zu können. Und es war schön, mit der Schauspielerin Safira Robens über die Textanteile in aramäischer Sprache in Verbindung zu treten, die sie in ihrer Rolle als Engel spricht. Mit Aramäisch kennen sich heute in der Regel nur Menschen aus, die die Tora studieren, und ich bin in Israel religiös erzogen worden. Ich konnte den Text für sie zum Anhören auf dem Handy einsprechen. Es ist eine Freude, wie in ENGEL IN AMERIKA beides zusammenkommt, Schwul-Sein und Jüdisch-Sein. Und eine Frau als Rabbi auf der Bühne zu sehen!

Meine Arbeiten sind die Erweiterung meines Selbst

Wie hast du nach der Probe entschieden, was du malen willst?
Bevor ich ins Theater kam, hatte ich überlegt, eine Situation zwischen zwei oder drei Figuren zu malen, aber als ich da war und die Schauspieler*innen traf, die an dem Tag auf der Probe waren, wusste ich, dass ich sie als Gruppe malen wollte, dass alle Spieler*innen, die ich getroffen habe, Teil des Bildes sein mussten. Die Fotos, die die Ausgangspunkte meiner Gemälde sind, versuche ich, nicht zu inszenieren – mir gefallen Zufälligkeiten, keine Posen, kein Spiel. Ich dokumentierte den ganzen Tag über Momente und bat am Ende alle auf die Bühne für ein paar schnelle Gruppenfotos, bevor sie gehen mussten.
Das ist schön an deinem Gemälde – dass man nicht nur eine Gruppe, sondern ein bisschen auch eine Gemeinschaft sieht. Wie eine kleine Party auf der Bühne.
Portraitbild von Navot Miller
Navot Miller
© Navot Miller

Navot Miller

James schrieb: Navot. Du schöne, leuchtende Seele. Maler des Empfindlichen. Der die süßen tektonischen Worte einfängt, und seltsame Engel. Den Sonnenuntergang. Den Sonnenaufgang. Gründe, ans Mondlicht zu glauben. X 

Aviva schrieb: Danke, Navot! Chag sameach auch dir. Eine schöne Überraschung, dich am Freitag zu entdecken, und ja: im August oder September wird der perfekte Zeitpunkt sein, sich wiederzutreffen und tiefergehend zu sprechen. Halt durch in den nächsten Wochen und male mit Ruhe und immer wieder. Es ist schwierig. Sei nicht nervös vor der Ausstellung, bleib ruhig. Und geh zwischen den Arbeitszeiten auf einen stillen Spaziergang! Neshikot, Aviva


 

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