Reflektion über das Verschwinden

Bilder vom Theater
Lesedauer 5 Minuten

Die Fotografin und bildende Künstlerin Lisa Rastl arbeitet zum Verhältnis von Original und Kopie, Reproduktion und Originalität. Wir haben sie eingeladen, sich von einem Probenbesuch der Inszenierung KASIMIR UND KAROLINE zu einer neuen Fotoarbeit inspirieren zu lassen und sprachen mit ihr über Original und Kopie im Theater.

© Lisa Rastl
Ein Gespräch mit Lisa Rastl, geführt von Anne Aschenbrenner.
ANNE ASCHENBRENNER Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Arbeit?
LISA RASTL Das Thema, das mich in meiner künstlerischen Arbeit sehr umtreibt, ist das Verhältnis von Original und Kopie. Ich habe lange als Reproduktions- und Objektfotografin für das mumok und andere Kunstinstitutionen, Künstler*innen und Sammlungen gearbeitet, als „Dienstleisterin“ der bildenden Kunst. Während solcher Reproduktionsprozesse, die mitunter mehrere Stunden dauern, habe ich begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, was genau ich da mache, ob es ein künstlerischer Akt sein kann oder nicht. Im ersten Lockdown habe ich dann eine künstlerische Arbeit geträumt: Ich habe geträumt, dass ich ein rotes Quadrat von Josef Albers reproduziere. Das rote Quadrat habe ich im Traum aber in Schwarz-Weiß fotografiert und das Schwarz-Weiß-Foto immer weiter abfotografiert, bis die Arbeit von Josef Albers weitgehend verschwand. Mit der Frage: Ab welchem Moment kann ich das Bild als meine eigene Arbeit benennen? Wie weit muss ich mich vom Original wegbewegen, um die Autor*innenschaft für mich verbuchen zu können? Es entstand eine schöne Reflektion über das Verschwinden. Der Verlust auf der einen Seite – der Qualitätsverlust der Reproduktion – wird zum Qualitätsgewinn auf der anderen Seite.
Als die Anfrage kam, eine Arbeit für das Burgtheater Magazin zu erstellen, haben Sie gleich darüber nachgedacht, auch hier zum Thema Original und Kopie zu arbeiten?
Ich habe mich zuerst mit dem Stück KASIMIR UND KAROLINE befasst. Ich finde spannend, dass der gesellschaftliche Hintergrund, die Zeit, in der das Stück spielt, starke Parallelen zur jetzigen Zeit aufweist, zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise. Festgehalten habe ich mich aber an den beiden titelgebenden Figuren. Weil ich mich kürzlich damit auseinandergesetzt habe, wie sich die Original- und Kopie-Thematik auf die darstellenden Künste übertragen lässt, ob es da diesen Begriff des Originals überhaupt geben kann. In der Regel gibt es ein Originalmanuskript. Dann gibt es die Uraufführung. Und die Frage: ist die Uraufführung das eigentliche Original? Gleichzeitig ist jede Inszenierung eine Interpretation. Schauspieler*innen interpretieren Figuren. Diese Figuren sind interpretationsoffen. Die gesamte Textvorlage ist interpretationsoffen oder über dramaturgische Narration gestaltbar. Und die Interpretation selbst kann wieder interpretiert werden. Ich habe die beiden Darsteller*innen, die jetzt am Burgtheater Kasimir und Karoline spielen, fotografiert. Vorher habe ich mich auf die Suche gemacht nach verschiedenen Darsteller*innen, die vor Jahrzehnten diese beiden Figuren eingenommen oder appropriiert haben, und Fotografien ihrer Gesichter in Schwarz-Weiß kopiert. Ich zeige Marie-Luise Stockinger und Felix Rech auf meinen Fotos mit den Bildern der unterschiedlichen Kasimir- und Karoline-Verkörperungen vor ihrem Gesicht. Für mich geht es dabei auch um die Frage, ob es in der Verkörperung von Rollen Vorbilder gibt, und wie die Darsteller*innen jetzt selbst zu Vorbildern, zu originären Figuren in der Reihe der vielen Inszenierungen und Interpretationen werden.

Ist die Uraufführung das eigentliche Original?

Hatten Sie vor Ihrem Probenbesuch eine Geschichte mit Ödön von Horváth?
Ich habe die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ als junges Mädchen gelesen und dieses wirklich sehr traurige und kaputte Porträt einer Epoche stark wahrnehmen können. Die Gefahr für die junge Frau in diesem Stück ist erschütternd. Auch in KASIMIR UND KAROLINE wird eine gescheiterte Emanzipationsbewegung sichtbar. Karoline möchte sich über einen Mann sozial emanzipieren, obwohl sie selbst eine berufstätige Frau ist und das auch betont. Es geht um gescheiterte Liebe, gescheiterte Moral, aber auch um gescheiterte Emanzipation.
Wie nehmen Sie als bildende Künstlerin das Bühnenbild wahr?
Ich empfinde es als sehr filmisch, vor allem am Anfang, der wirkt wie in einem Kino, wenn sich die Filmformate einstellen. Es ist ja auch kein Bühnenbild mit großer Raumtiefe, sondern fast eine Fläche, deren oberer und unterer Teil wie ein Split-Screen wirken, auf dem die Ober- und die Unterwelt zu sehen sind.
Haben Sie einen Bezug zum Theater?
Mein Mann Willi Dorner ist Künstler und Choreograf für Zeitgenössischen Tanz – die Idee mit den Kopien von Gesichtern für meine Arbeit in diesem Heft kommt aus dem Stück „inbetween“ von ihm. Durch eine regelmäßige Zusammenarbeit bin ich sehr bühnenaffin. Auch ist meine Schwester Schauspielerin und ich war viel im Theater, sie auf den deutschen Bühnen besuchen. Als Kind und Jugendliche habe ich auch selbst Theater gespielt. Die Fotografie, mein künstlerisches Medium, ist nicht sehr expressiv. Man hält sich hinter einem Apparat auf. Sie ist nicht so gestisch wie die Malerei, nicht so physisch wie die Bildhauerei, sondern eigentlich sehr verhalten. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum ich mich entschieden habe, hinter der Kamera zu arbeiten. Ich unterrichte aber seit eineinhalb Jahren an der Universität für Angewandte Kunst, wo ich eine Werkstatt für analoge Fotografie aufgebaut habe. Das hat auch etwas Performatives – eine Vorlesung ist wie ein kleiner Auftritt, mit Vorbereitung und voller Präsenz.
Ist Ihnen auch als Zuschauerin und Betrachterin die bildende Kunst näher als die darstellende Kunst?
Die bildende Kunst spricht über andere Reize und Assoziationen zu mir als das Theater. Was mich im Theater vor allem interessiert, ist die Sprache. Bildende Kunst ist öfter nonverbal. Aus KASIMIR UND KAROLINE sind mir mehrere Sätze und Textstellen im Gedächtnis geblieben, die mich beeindruckt haben. „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als war man nie dabei gewesen“. Pessimistisch und trotzdem treffend, weil wir in einer schwierigen Zeit leben und viele, vor allem auch junge Menschen Zukunftsängste haben und durch die Pandemiejahre belastet sind.
Wie nehmen Sie Ihre eigene Position als Frau im künstlerischen Feld wahr?
Ich sehe ein Problem in der Kinder-Gap, von der auch ich betroffen war. Ich habe viele Jahre in Teilzeit gearbeitet, neben der Arbeit und Kindererziehung studiert und als freiberufliche Fotografin immer zu wenig verdient. Durch solche Mehrfachbelastungen gelangt man in der Kunst schnell ins Hintertreffen. Retrospektiv hat mich geärgert, dass ich als junge Frau und junge Mutter nicht mehr für mich eingefordert habe. Ich erlebe, dass durch Mutterschaft, Teilzeitarbeit und unsichtbare Care-Arbeit, die nicht bezahlt wird, in vielen künstlerischen Karrieren diese Gap entsteht. In der bildenden Kunst geht es viel um Präsenz, um konsequentes, stetiges Arbeiten und die Weiterentwicklung der Arbeit. Es ist immer auch die Möglichkeit des Scheiterns inkludiert, und Zweifel, die überwunden werden müssen. Das kostet Arbeit und Zeit. Wir leben in einem spannenden Moment, weil auf der Ebene der Genderthematik und Gleichberechtigung viel zu passieren beginnt. Ich habe auf der Universität viel mit jungen Menschen zu tun und auch durch meine Tochter, die im selben Alter ist, die sich schon ganz anders verhalten und ein anderes Bewusstsein haben als früher. Ich bin jetzt einmal optimistisch.
Bilder vom Theater zu KASIMIR UND KAROLINE von Lisa Rastl
© Lisa Rastl

Lisa Rastl

wurde 1974 in Mödling geboren. Sie studierte an der Graphischen in Wien, der Schule für künstlerische Photographie bei Friedl Kubelka und der Akademie der Bildenden Künste Wien bei Heimo Zobernig. Seit 1996 arbeitet sie als Künstlerin und freischaffende Fotografin.

Zum Stück
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Kasimir und Karoline

Burgtheater
von Ödön von Horváth
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Schreibweisen
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Das Gespräch mit Lisa Rastl führte Anne Aschenbrenner.

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