Kunst ist eine Form der Realitätsflucht

Bilder vom Theater
Lesedauer 4 Minuten

Die aus Tirol stammende bildende Künstlerin Sophie Gogl besuchte die Proben von DER ZAUBERBERG nach dem Roman von Thomas Mann im Burgtheater. Ausgehend von dem, was sie gesehen hat, hat sie sich mit Bastian Krafts Inszenierung künstlerisch auseinandergesetzt. Hier spricht Sophie Gogl über Fieber, Abgeschiedenheit und die Kunstszene; das entstandene Kunstwerk zum Zauberberg zeigen wir auf der folgenden Doppelseite.

Malerei mit Acrylfarben: eine Hand hält ein digitales Fieberthermometer, das Display zeigt die Temperatur 37,6 °C  an.
© Sophie Gogl
Ein Gespräch mit Sophie Gogl, geführt von Anne Aschenbrenner.
ANNE ASCHENBRENNER Davos, das Sanatorium Berghof – die Welt, in der DER ZAUBERBERG spielt – und Kitzbühel in Tirol. Gibt es da Parallelen?
SOPHIE GOGL Zuerst muss ich sagen: Ich bin aus Kufstein, nicht aus Kitzbühel, wie es überall steht. In Kitzbühel ist nur das Krankenhaus, in dem ich geboren wurde. Aber meine Oma hat in einem Sanatorium in der Schweiz gearbeitet. Sie hat mir oft erzählt, dass dort Frauen mit vorgeschobenen Diagnosen geparkt wurden, weil man sie loswerden wollte, zum Beispiel weil man sie sonst in einer Erbfolge hätte beachten müssen.
In Thomas Manns Roman verbringt der Protagonist Hans Castorp sieben Jahre auf dem Zauberberg, um im Sanatorium, fernab von Nachrichten und Aktualitäten, der Welt zu entgehen. Kannst du diesen Fluchtimpuls nachvollziehen?
Ich kann die Weltflucht der Romanfiguren sehr gut nachvollziehen: Die Sehnsucht, sich zurückzuziehen, an einer Gesellschaft teilzuhaben, ohne wirklich teilzuhaben. Ein rationierter Selbstmord. Ich war letztes Jahr an einem Punkt, da wollte ich unbedingt ins Kloster gehen. Nicht für eine Auszeit, sondern für immer. Das klingt bescheuert, ich habe das auch nie ernsthaft verfolgt. Aber der Gedanke hat mich fasziniert: Dass man wohin gehen könnte und sagt, man ist nun im Dienste von einem Gott und niemand kann einem böse sein, dass man weggegangen ist. Der Wunsch ist dann wieder verschwunden. Es gibt ja auch Mikrokosmen der Weltflucht, die wir alle kennen: Filme zum Beispiel oder Theater. Kunst ist generell eine Form der Realitätsflucht. Auch die Kunstszene, die Kunstproduktion, der Kunstmarkt. Und die elitäre Grundstruktur dort ist dem Zauberberg ähnlich.

Ich denke, wenn Hans Castorp eine Frau gewesen wäre, hätt’ sie im Sanatorium erst einmal aufgeräumt.

Hast du dich schon einmal mit Thomas Manns Roman beschäftigt?
Wir hatten den „Zauberberg“ von Thomas Mann zu Hause, das Buchcover war so bunt und fetzig, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte, aber ich bin nie fertig geworden. Die Beschreibung der Reise Hans Castorps mit dem Zug in die Schweiz war schon so ermüdend. Wie eine 24-Stunden- Serie, wo eine Folge so lange ist wie die Zeit, die darin erzählt wird ...
Wie war dann die Begegnung mit dem Stoff bei den Proben im Burgtheater?
Ich kam zu einem Zeitpunkt auf die Proben, wo die Arbeit schon weit fortgeschritten war, im Grunde fast fertig. Es war ein richtiges Spektakel. Als erstes ist mir der Berg aufgefallen, dann die Schauspieler*innen in den vier beigefarbenen Trenchcoats. Die Drag-Momente (z. B. Markus Meyer als Frau Stöhr) haben mir besonders gut gefallen. Ich denke, wenn Hans Castorp eine Frau gewesen wäre, hätt’ sie im Sanatorium erst einmal aufgeräumt. Metaphorisch. Die Ästhetik auf der Bühne gibt einem das Gefühl, in der Zeit zurückgeworfen zu sein. Die beigefarbenen Kleider, die Schraffierungen, das Sternenbild. Obwohl mit digitalen Projektionen gearbeitet wird, hat die Inszenierung eine sehr analoge Ästhetik. Ich fand das ein wenig unpoppig, wenn ich das sagen darf – vor allem weil das Thema so aktuell ist. Der drohende Krieg, der an die Tür klopft. Die Frage, macht man mit oder nicht. Wie positioniert man sich? Was ist Patriotismus? Die Ohnmacht. Die philosophischen Grundfragen. Wissenschaft oder nicht. Humanismus. Selbstoptimierung. Das Bedürfnis, sich abzuschotten und zurückzuziehen. Das sind doch alles sehr heutige Gedanken.
Hans Castorp kommt auf den Zauberberg als Besucher, er macht alle „Liegekuren“ mit. Aber er ist noch kein Patient. Erst später, als er endlich fiebert, sagt Dr. Behrens zu ihm: „Ihr Verhältnis zu uns ist in eine neue Phase getreten, Herr Castorp, über Nacht ist aus dem Gaste ein Kamerad geworden”.
Ich glaube, es geht im Zauberberg – noch eine Parallele zur Kunstszene – viel um Zugehörigkeit.
Zu welcher Art von Werk hat dich der Zauberberg nun inspiriert?
Ich male immer von Fotos ausgehend. Nach den Proben habe ich ein Foto vom Fieberthermometer im Kinderzimmer gemacht. Davon werde ich eine Malerei mit Acrylfarben machen. Ich habe ein sehr poppiges Fieberthermometer, das immer griffbereit am Nachtkastl liegt. Nicht weil wir eingebildet krank sind, sondern weil mein Kind oft verkühlt ist und mindestens einen Tag fieberfrei sein muss, bevor es wieder in den Kindergarten geht. Das Fiebermessen entscheidet, wie der Tag verläuft. Ist die Temperatur normal, bring ich das Kind in den Kindergarten. Ist sie erhöht, schauen wir die Hundepolizei-Serie „Paw Patrol“. Wenn das Fieber noch höher wird, drehe ich den Fernseher ab.
Ein Hans-Castorp-Moment?
Genau! Nur, dass man eigentlich raus will.
Bilder vom Theater - Das Kunstwerk
Malerei mit Acrylfarben: eine Hand hält ein digitales Fieberthermometer, das Display zeigt die Temperatur 37,6 °C  an.
Bilder vom Theater – Kunstwerk von Sophie Gogl
© Sophie Gogl
Ein Porträtbild der Künstlerin Sophie Gogl in farbe.
Sophie Gogl
© Anna Puhr

Sophie Gogl

1992 in Kitzbühel geboren, schloss 2017 das Diplomstudium Bildende Kunst, Malerei und Animationsfilm unter der Leitung von Prof. Judith Eisler an der Universität für Angewandte Kunst in Wien ab. In ihrer Arbeit geht die Künstlerin der Frage nach, was gemalte Bilder als Erzählungen angesichts einer unendlichen Bilderwelt zwischen Internet, Film, Werbung und privaten Motiven leisten können. Neben der Malerei umfasst ihre Praxis Installationen und Kombinationen unterschiedlicher Medien. Ihre ersten Einzelausstellungen führten sie u. a. ins Museum für Angewandte Kunst in Wien (2020). Zudem waren ihre Werke in Schwaz, der Kunsthalle Bern und der Berliner Galerie KOW zu sehen.

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Das Gespräch mit Sophie Gogl führte Anne Aschenbrenner.

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