Gespräch: DAS WEITE LAND
Die Regisseurin Barbara Frey, deren Inszenierung von Arthur Schnitzlers DAS WEITE LAND am 2. September 2022 im Akademietheater ihre Wien-Premiere feierte, traf die von ihr seit Jahren bewunderte bildende Künstlerin Katharina Fritsch in deren Düsseldorfer Atelier zum Gespräch über Schnitzlers Analyse einer gewaltbereiten Gesellschaft.
Und ohne Licht kein Dunkel. Der Lichtproduzent Hofreiter verursacht ja viel Dunkelheit.
Er ist einfach der moderne Mann. Ein Gründer, ein Macher. Der Frauenkörper ist für ihn eine Trophäe. Deshalb wendet er sich ja auch der jungen Erna zu, die ist schön knackig. Die anderen Frauen sind auch interessant, sensibler als die Männer, aber ausgeliefert.
Er ist einfach der moderne Mann. Ein Gründer, ein Macher. Der Frauenkörper ist für ihn eine Trophäe.
Ich denke, Schnitzler sah sich selbst in allen Figuren, auch den Frauenfiguren. Das unterstelle ich ihm. Er war ein äußerst aufmerksamer Mensch und neugierig darauf, die Perspektiven zu wechseln. Im Übrigen war der Arzt Schnitzler auch als Literat ein Diagnostiker, scharf und unerbittlich. Auffallend im Stück ist, dass es keine wirklichen Freundschaften gibt. Eher Seilschaften. Es gibt auch keine Kategorie von Zärtlichkeit.
Die Männer brauchen die Frauen im Grunde nur als Back-up. Die Komplimente, die Hofreiter den Frauen macht, sind schal und selbstbeweihräuchernd.
Und sie sollen seine Aggressivität überdecken. Immerhin: Hofreiter ist ein Mörder, ein Auslöscher. Seine Glühbirnen kann er an- und ausknipsen, wie er will. Die gesamte Gesellschaft ist gewaltbereit, auch im schulterzuckenden Hinnehmen der Gewalt Einzelner. Fürs Theater ist es umso interessanter, die kargen Wärmeherde zu eruieren, die Spuren von Komplizenschaft, Zuwendung, Verletzlichkeit und Humor zu finden.
Ein Wärmeherd könnte die Figur der Schauspielerin sein. Genia dagegen ist eher ausgeschlafen. Die Frauen gerieren sich bisweilen als Opfer, sind aber emotional Täterinnen. Genias Satz „Ich schau dich nur an“ ist perfide.
In deiner Kunst fällt auf, dass gerade in der radikalen materiellen Vergegenständlichung eine enorme Beseelung steckt.
Es ist alles Handarbeit, Manufaktur. Ich mache eigentlich nur Prototypen. Dinge, die aussehen, als seien sie industriell gefertigt, als fehle ihnen die Handschrift. Aber sie haben eine Handschrift. Die Assistenten, die ich beschäftige, sind allesamt Künstler. Wir setzen alles gemeinsam um, es ist herkömmliche künstlerische Arbeit, keine Industrieproduktion. Das, was da die Seele ausmacht, ist, dass es beim fertigen Kunstwerk immer etwas geben muss, das sich entzieht, das nicht kontrollierbare Moment, nur so gibt es Spannung und bekommt ein Eigenleben.
Die Frage ist ja: Ab wann empfindet man etwas als »seelisch aufgeladen«?
In meinen Werken steckt mein ganzes Leben. Alles, was sich nicht in Worte fassen lässt, alle erdenklichen Atmosphären sind in meinen Objekten gespeichert. Das liegt auch an dem höchst komplizierten Fertigungsprozess. Dadurch laden sich diese Objekte immer mehr auf. Und sie erfüllen keinen Zweck. Sie sind einfach nur da. Es sind eine Art selbstständig gewordene Kinder. Man kann sie anschauen und nichts passiert – aber plötzlich kippt die Wahrnehmung, und man sieht sie ganz anders, und sei es für Sekunden. Es geht darum, aus dem Alltag herauszukippen. Zum Beispiel diese hier stehenden schwarzen Vasen. Man kann sie klar als solche erkennen, aber plötzlich sieht man momenthaft etwas anderes. Eine solche Vase stand bei meiner Großmutter auf dem Klavier, da waren Chrysanthemen drin.
Die Vasen sind Skulpturen, ich kann mir darin gar keine Blume vorstellen.
Die Vase ist einfach ein Objekt, nicht für Blumen gedacht.
Zu Beginn des Stücks stirbt schon die Musik, da bringt sich ein Künstler um, ein russischer Pianist, das ist sozusagen doppelt exotisch. Er musste gehen, weil er nicht mehr in diese Welt ohne Kunst passt. Sein Tod ist jedoch für niemanden eine Katastrophe.
Wir entfremden uns vom Lebendigsein.
Das Gespräch ist für den Katalog der Ruhrtriennale 2022 entstanden.
Zum Stück
DAS WEITE LAND von Arthur Schnitzler ist ein Klassiker der österreichischen Literatur aus der Zeit wenige Jahre vor dem ersten Weltkrieg: Ein Pianist, der in der Villa des Glühbirnenfabrikanten Friedrich Hofreiter und dessen Frau Genia verkehrte, erschießt sich. Der Grund dafür gibt Anlass zu Spekulationen: Man vermutet, dass Hofreiter den jungen Musiker dazu aufgefordert hat, sich das Leben zu nehmen, nachdem er von dessen angeblicher Affäre mit Genia erfahren hatte. Doch Hofreiter behauptet, er hätte kein Problem mit einem Seitensprung gehabt. Im Gegenteil: Der „Macher” und „Gründer” der seriellen Produktion fordert Genia geradezu auf, fremdzugehen. Schließlich kommt es zu einem blutigen Duell. In seinen Notizen skizziert Schnitzler, der Arzt und Diagnostiker seiner Zeit, den weiteren Verlauf in kurzen, präzisen Sätzen: „Seine Frau wird ihm schauerlich, todbringend. Er kann sie nicht mehr besitzen. Endlich wird er irrsinnig.”
Barbara Frey
inszeniert seit 2006 am Burgtheater. Für AUTOMATENBÜFETT erhielt sie einen Nestroy- Preis. Die Produktion wurde außerdem zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Barbara Frey war von 2009 bis 2019 Intendantin am Schauspielhaus Zürich. In den Spielzeiten 2021 bis 2023 ist sie Intendantin der Ruhrtriennale, wo jährlich eine Koproduktion mit dem Burgtheater entsteht.
Katharina Fritsch
wurde 1956 in Essen geboren. Sie studierte von 1977 bis 1984 an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Fritz Schwegler. Nach ihrem Abschluss präsentierte sie ihre Arbeiten in Europa, Japan und den USA. In ihren Skulpturen vermischt sie Realität und Fantasie und erzeugt eine surreale Bildlichkeit. Die Kunstwerke von Katharina Fritsch findet man in Galerien, im öffentlichen Raum und oft an ungewöhnlichen, wenig beachteten Orten. Zuletzt gewann Katharina Fritsch den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale für ihr Lebenswerk.