Monumente vor unseren Augen
Für die vierte Ausgabe der Serie BILDER VOM THEATER haben wir Dariia Kuzmych zu den Proben von DIE TROERINNEN gebeten.
Die 1991 in Kiew geborene Künstlerin pendelte bis zum 24. Februar 2022 zwischen Berlin, Kiew und Wien, bei Kriegsausbruch befand sie sich in Wien. Zum Interview trägt Dariia Kuzmych ein Paar Hosen, das ihre Mutter für sie vor dem Abschied nach Wien genäht hat – nicht wissend, dass es der Abschied in eine ungewisse Zukunft sein würde.
Anne Aschenbrenner: In dem Stück Die Troerinnen befinden wir uns am Ende eines Krieges, die Griechen haben gesiegt, die überlebenden trojanischen Frauen beklagen ihre Verluste. Was ging dir durch den Kopf, als du die Proben besucht hast?
Dariia Kuzmych: Als ich das erste Mal auf der Probebühne war, war es der zehnte Tag des Krieges in der Ukraine, das ist meine neue Zeitrechnung. Charkiw und Kiew wurden gerade stark beschossen. Eine Bombe traf die Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar, genau an der Stelle, wo über dreißigtausend Juden innerhalb von zwei Tagen ermordet worden waren. Das war so absurd: als würde man eine Wunde wieder aufschneiden. Bei dem Bombenangriff ist eine Familie lebendig verbrannt, auch ein Kind war dabei. Ich habe diese Bilder gesehen und die erstarrten Hände der Toten. Während der Proben habe ich die Schauspielerinnen beobachtet, die sehr langsame, erstarrte Bewegungen machten. Daran habe ich gedacht bei den Proben zu DIE TROERINNEN: an diese verbrannte Familie.
WARNUNG
Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrungen können von den Erzählungen im Interview und im untenstehenden Video getriggert werden.
LINKLISTE
Informationen zum Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen der WHO
Psychische Erste Hilfe - Handbuch des Roten Kreuz
Informationsportal der Stadt Wien für Menschen aus der Ukraine
Wie kann man heute vom Krieg erzählen?
Meine Mutter, die weiter in Kiew bleibt, hat mir zu Beginn des Krieges ein Video geschickt von brennenden Leichen auf der Straße. Ich habe sie gebeten, mir solche Videos nicht mehr zu schicken und ich versuche auch meinen Nachrichtenkonsum zu reduzieren. Bei den Proben hatte ich den Eindruck, dass um jedes Wort gerungen wurde. Das hat mich überrascht, ich wusste nicht, welches Gewicht ein einzelnes Wort im Theater haben kann. Traumatische Erlebnisse und Verluste sind schwierig in eine kontinuierliche Narration zu bringen. Ich habe bei den Proben eine Mischung aus einzelnen Fragmenten gehört, in denen kein Satz zu Ende gesprochen wird. Nur einzelne Wörter beschreiben das Erlebte. Das finde ich sehr treffend.
Was können diese alten, klassischen Geschichten für uns bedeuten?
Meine Urgroßmutter war eine Ärztin an der Front im Zweiten Weltkrieg. Das einzige, was sie mir über diesen Krieg erzählt hat, war, wie sie einmal in einem Haufen von Leichen aufwachte. Sie war auf der Flucht vor einem Bombenangriff und spürte etwas Weiches unter sich, aber es war dunkel, somit wusste sie im ersten Moment nicht, was es war. Schließlich bemerkte sie, dass es Leichen waren. Das ist das einzige Bild, das sie mir vom Krieg geschildert hat. Auch mein Bruder, der eigentlich Ingenieur ist, war schon als Soldat im Donbass-Krieg gegen Russland, in dem Jahr als seine Tochter geboren wurde. Er ist ein erfahrener Soldat, der auch jetzt kämpfen wird. Es sind genau diese körperlichen Erlebnisse, die über Generationen weitergegeben werden. Sie sind wie Monumente vor unseren Augen. Ihre Brutalität spiegelt sich auch in den alten Geschichten.
Deine Arbeit für dieses Magazin wird wahrscheinlich nicht nur von den Euripides inspiriert sein, sondern vor allem auch geprägt von den Bildern in den Nachrichten und im Social Web. Wie wirst du sie anlegen?
Ich werde ganz sicher abstrakt herangehen. Anders geht das nicht. Ich werde von den körperlichen Erlebnissen des Krieges, die sehr universell sind, ausgehen und sie mit der Materialität der Traumata in Zusammenhang bringen. Aber ehrlich gesagt: Ich hatte noch gar keine Zeit zu arbeiten und auch keinen Platz. In meiner Wohnung in Wien, die auch mein Atelier ist, lebten in den letzten Tagen auch meine Schwägerin und ihre Schwester und ihre Kinder. Meine Eltern blieben in Kiew, mein Vater und mein Bruder dürfen und wollen nicht ausreisen. Mein Vater ist seit dem zweiten Tag des Krieges in der Armee, er hat sich freiwillig gemeldet.
Du hast eine Wohnung in Wien, pendelst aber eigentlich zwischen Wien, Berlin und Kiew?
Ich lebe in einem Dreieck von Städten und Ländern, ja. In Berlin studierte ich bis vor kurzem. In Wien arbeite ich manchmal, hier lebt mein Freund. Nach Kiew komme ich oft, wenn ich dort zum Beispiel eine Ausstellung habe, wie es gerade geplant war. Es gibt einen Direktzug aus Wien, er fährt 23 Stunden direkt von Wien nach Kiew. Am 8. Februar kam ich in Wien an, ich bin eingeladen, bei einem Projekt zu Kunst im öffentlichen Raum in Traiskirchen zu arbeiten. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Flüchtlingskrise von 2015.
Was war dein erster Gedanke an diesem 24. Februar?
Ich bin kein Mensch, der gern viel spricht, das liegt mir nicht. Aber ich bin jetzt die, die nicht unter Beschuss ist, auf mich fallen keine Bomben und ich kann Deutsch sprechen. Ich habe das Gefühl, dass ich weitererzählen muss, was passiert. Wie es den Menschen geht. Aber auch darüber, was die ukrainische Kultur ausmacht. Ich möchte verschiedene Erfahrungen die mit dem Krieg, der ukrainischer Kultur und dem russischen Imperialismus zu tun haben, vermitteln. Im deutschsprachigen Raum gibt es oft Blind-Spots über die Ukraine.
Wie wichtig ist Kultur in der aktuellen Situation?
Natürlich gibt es jetzt praktische Dinge, über die man sprechen muss. Wie man überlebt. Wie man Menschen rettet. Die Armee ist jetzt wichtig – aber Kultur ist, was uns vereint und Dialog schaffen kann. Für mich ist Kunst eine Methode, um zu überleben, auch wenn ich seit Kriegsbeginn nichts mehr gezeichnet habe. Dennoch weiß ich: die Kunst wird mir helfen. Nach einem schweren Unfall hatte ich zehn Operationen und musste mich deswegen schon mal neu definieren. Ich weiß, dass die Kunst uns aus Traumata herausholen kann. Mit diesen Erfahrungen blicke ich auf den Krieg. Der Krieg wird vorbeigehen, wir werden das Trauma überwinden. In der Ukraine sagen wir: Das einzige, was Putin in der Ukraine kriegen wird, ist Covid.
Dariia Kuzmych
(geb. 1991) ist eine bildende Künstlerin, die zwischen Wien, Berlin und Kiew pendelt. In ihren Projekten beschäftigt sie sich mit verschiedenen Aspekten von Zeitwahrnehmung, Raum und Körper. Sie arbeitet in verschiedenen Medien (Malerei, Zeichnung, Text, Video u.a.), oft kombiniert in multimedialen Installationen. Nach dem Abschluss in monumentaler Malerei an der Kunstakademie von Kiew studierte sie als Meisterschülerin Medienkunst an der Universität der Künste in Berlin.