Endlich ein 'wokes' Thema!

Podiumsdiskussion zu CYPRESSENBURG:
Die zweiteilige Reihe ENDLICH EIN 'WOKES' THEMA beschäftigt sich mit der Entstehung von Narrativen und mit der Frage, von wem, auf welche Weise und mit welchem Ziel Geschichten erzählt werden.

Inszenierungsfoto
© Marcella Ruiz Cruz
Podiumsdiskussion zu CYPRESSENBURG am 15. Juni 2024: "European Art Music and the Black Contemporary"

Endlich „ein wokes Thema“!

Indem anhand von Themen und Charakteren des Stücks CYPRESSENBURG aktuelle Kontexte und Diskurse beleuchtet werden, untersucht das zweiteilige, von Tonica Hunter kuratierte Format, wie es Künstler*innen der DACH-Region in der Kulturszene und Unterhaltungsindustrie „schaffen“ können. Geladene Expert*innen, Meinungsbildner*innen und Produktionsbeteiligte werden in zwei Diskussionsveranstaltungen die zentralen Fragestellungen des Stücks vertiefen.

Die Reihe wurde kuratiert von TONICA HUNTER

Zweiteilige Podiumsdiskussion am 16.5. & 15.6.2024 im Kasino im Anschluss an die Vorstellung.

IM ANSCHLUSS AN DIE VORSTELLUNG AM 15. JUNI 2024

Mit: Liz Metta & Ængl
Moderation: Lena Fankhauser, Bratschistin, Kammermusikerin und Mitbegründerin des Big Island Orchestra Vienna.

European Art Music and the Black Contemporary

"EUROPEAN ART MUSIC AND THE BLACK CONTEMPORARY" ist der zweite Teil der diskursiven Gesprächsreihe „ENDLICH EIN 'WOKES' THEMA“, das von Tonica Hunter für CYPRESSENBURG kuratiert wurde. Teils Panel, teils Listening Session und inspiriert von den musikalischen Einlagen der Inszenierung, beleuchtet die Gesprächsreihe „klassische“ und „moderne“ Musikgenres mit den geladenen Gästen.

Der erste Teil der Podiumsdiskussion AND THERE ARE MANY STORIES MORE TO TELL am 15. Mai beschäftigte sich mit der Entstehung von Narrativen und mit der Frage, von wem, auf welche Weise und mit welchem Ziel Geschichten erzählt werden.

Mit Anouk Shad (Gewächshaus Network), Safira Robens und Moses Leo (Ensemble).
Moderation: Djamila Grandits

Reviews

„(...) Ich wurde noch nie im Theater so abgeholt. Großartiges Stück und großartige Schauspieler. Danke, für den wundervollen Abend!“

MIREILLE NGOSSO

Review von Joy Adenike Breiner

Wie schafft man es, die Türen des Theaters für ein breiteres und diverseres Publikum zu öffnen? Das Stück CYPRESSENBURG, das am 12. April 2024 seine Uraufführung im Wiener Burgtheater (Kasino am Schwarzenbergplatz) hatte, liefert die Antwort. Eine ausverkaufte Premiere markierte den Auftakt.

CYPRESSENBURG, unter der Regie von Isabelle Redfern, brachte definitiv frischen Wind in das eher elitäre Theater. Dass viele junge Menschen keinen Zugang mehr zur Kulturform der Bühne finden, ist nicht besonders überraschend, doch dieses Stück zog Zuschauer:innen aus den unterschiedlichsten Altersgruppen und sozialen Hintergründen an. Mit ihrem modernen Thema und zeitgemäßen Ansatz bewies die Produktion, dass Theater auch in der heutigen Zeit ein Ort des Aktivismus und Austausches sein kann. So kommentierte z. B Mireille Ngosso in ihrer Instagram-Story: „(...) Ich wurde noch nie im Theater so abgeholt. Großartiges Stück und großartige Schauspieler. Danke, für den wundervollen Abend!“

Inszenierungsfoto
MING, Safira Robens
© Marcella Ruiz Cruz

Schon beim Betreten des Theatersaales wird eine besondere Stimmung vermittelt: Man wird von der überwältigenden Atmosphäre des Saales vollkommen eingenommen, die von Lani Tran-Duc, die für das Bühnenbild verantwortlich ist, und Paul Eisemann, der für die Beleuchtung zuständig ist, geschaffen wurde. Nicht nur die monumentale neonpinke Installation, die an eine überdimensionale Perücke in Größe eines Zeltes erinnert, dominiert den Raum und fasziniert das Publikum, sondern auch die in Blautönen strahlende Leuchtreklame mit der Aufschrift „CYPRESS STUDIOS“. Und hier befinden wir uns plötzlich: Mitten in den Räumlichkeiten der Filmsociété Cypressenburg. Die Atmosphäre wird in dem dunklen Raum durch das Spiel mit dem Licht verstärkt.

Titus Fox, der von Moses Leo dargestellt wird, will, dass seine Filmidee umgesetzt wird. Die Handlung soll von einem rothaarigen Mann erzählen, der aufgrund seiner Haare diskriminiert wird (Hallo Nestroy), aber sein Onkel Carl Carl, dargestellt von Ernest Allan Hausmann, der Entscheidungsmacht hätte, findet die Idee gar nicht gut. Viel lieber ist ihm die Umsetzung seiner eigenen Werke. Dann werden wir dem Star der Filmsociété Cypressenburg, Sal O’Myè, verkörpert von Safira Robens, vorgestellt. Sal betritt die Räumlichkeiten der CYPRESS STUDIOS. Sie ist verärgert, denn der Shitstorm rund um den neuesten Film, in dem sie als Schwarze Frau eine rothaarige Meerjungfrau spielt, macht ihr zu schaffen.

Das Stück thematisiert auf clevere, humorvolle und skurrile Weise aktuelle gesellschaftskritische Themen und überzeugt durch die exzellente Leistung aller Darsteller:innen. Es ist definitiv nicht nur geeignet für diejenigen, die etwas mit den Begriffen Whitewashing, Blackfacing und Woke anfangen können, auch wenn dieses Wissen beim Verstehen der Pointen und Witze hilft.

Wie wirkt man einem so enormen Shitstorm #nixmeineNixe entgegen? Es braucht eine Strategie. Da kommt Ignatia „Cypress“ Cypressenburg ins Spiel. Cypress, dargestellt von Zeynep Buyraç, ist Urenkelin von Süleyman, der die CYPRESS STUDIOS seinerzeit gründete. Sie ist herbeigeeilt, um damage control zu betreiben. Ihr Plan: Sal braucht einen Partner, denn eine Lovestory kommt immer gut an. Das sieht man gerne und soll ablenken. Wie praktisch, dass ein junger Mann im Studio vorbeikommt, der genau der Richtige für die Rolle als Lover wäre – nur, dass er irgendwie seltsam aussieht. Es ist Titus, der unter dem Decknamen Stefan und mit verändertem Aussehen versucht, in der Gesellschaft besser anzukommen und akzeptiert zu werden, um so auch an Erfolg zu gelangen. Sein Onkel Carl Carl merkt diese Maskerade natürlich sofort, und die anderen brauchen auch nicht lange…

Die Erzählung weicht stark von Nestroys Original ab, doch letzteres ist für das Verständnis von Bartons Stück gar nicht relevant. Dennoch blitzt Der Talisman des Wiener Dramatikers immer wieder doch durch: Aus dem Hauptcharakter Titus Feuerfuchs wird Titus Fox, Salome Pockerl wird zur Sal O´Myè, und die wohlhabende Frau Cypressenburg ist nun Urenkelin des Firmengründers und wird nur noch Cypress genannt.

Für welches Publikum wird Theater üblicherweise gemacht? Ist es akzeptabel, ein Stück aufzuführen, das von einigen der üblichen Besucher:innenschaft nicht verstanden wird?

Das Stück thematisiert auf clevere, humorvolle und skurrile Weise aktuelle gesellschaftskritische Themen und überzeugt durch die exzellente Leistung aller Darsteller:innen. Es ist definitiv nicht nur geeignet für diejenigen, die etwas mit den Begriffen Whitewashing, Blackfacing und Woke anfangen können, auch wenn dieses Wissen beim Verstehen der Pointen und Witze hilft.
Ein großes Lob gebührt nicht nur Regie (Isabelle Redfern), dem Bühnenbild (Lani Tran-Duc), der Musik (Ming) und der Dramaturgie (Andreas Karlaganis), sondern auch der fabelhaften Umsetzung der Kostüme durch Mariama Sow: Carl Carl erscheint z. B. wie eine 80er Jahre Ikone mit Schnurrbart und Jheri Curl, und Cypress, die stilvolle, charismatische Nachfolgerin des Firmengründers, tanzt und schwebt mit langem, seidigem Haar in fließendem Outfit eindrucksvoll über die Bühne.

Gemischte Reaktionen sorgten im Saal für Spannung und Knistern: Auf der einen Seite Besucher:innen, die vor Lachen Tränen vergossen, auf der anderen Seite ein wenig Verwirrung.

Das wirft erneut die Frage auf: Für welches Publikum wird Theater üblicherweise gemacht? Ist es akzeptabel, ein Stück aufzuführen, das von einigen der üblichen Besucher:innenschaft nicht verstanden wird? Die Antwort lautet: Ja! Auch das Theater muss seine Barrieren aufbrechen.

Resümee: Raffiniert und aktuell, amüsant und aktivistisch – und ein bisschen wienerisch.

Joy Adenike Breiner
Joy Adenike Breiner
© Nina Kowalska

Joy Adenike Breiner

lebt in Wien und ist Redakteurin bei freshVibes, der live Radiosendung der jungen Schwarzen Diaspora in Österreich, auf Radio Orange 94.0. Außerdem organisiert sie Community-Veranstaltungen und ist aktives Mitglied des Vereins Schwarze Frauen Community (SFC), bei der sie die Jugendgruppe für Mädchen* leitet, Öffentlichkeitsarbeit betreibt und Workshops zum Thema Antirassismus durchführt.

Inszenierungsfoto
Safira Robens, MING, Ernest Allan Hausmann
© Marcella Ruiz Cruz

REVIEW VON TONICA HUNTER

This play will have regular Burgtheater-goers shook in their Saisonkarte seats!

Cypressenburg is the contemporary political theatre Vienna deserves. Part musical, part political satire and revealing the new challenges for art posed by socially engaged (social) media, this play is a timely mirror held up to the Austrian theatre industry. 

Playing with Austrian archetypes and stereotypes - think “The Sound of Music”, grantige Wiener Kaffeehauskultur but also think German-speaking theatrical traditions such as Nestroy and Schiller - this play gives a refreshing take on Austria’s history of diversity and its incessant denial and dismissal of the plurality of its present-day population. After all, where do those Alpine Austrians hail from, if not the Africans migrating with Hannibal? LOL! 

Performances are stellar. Si-Pho (MING) switches between classic and contemporary compositions beautifully whilst critiquing the “token Asian” narrative, Sal O’Myè (Safira Robens) challenges the wishy-washy wokeness of Titus Fox (Moses Leo) who quickly drops his Black Power pride to embody a “white” lie. Carl Carl and Ignatia "Cypress" Cypressenburg (played by the brilliant Ernest Allan Hausmann and Zeynep Buyraç) embody the perfect sticky “situationship” and offer clever comic relief. A brilliant pull by costume designer Mariama Sow showcases the talent of local fashion designer and creative director AMAAENA who defines dressing as a political act and whose work ties in so well to the set and setting.

With Cypressenburg, critical theatre meets surreal fiction and uncomfortable truths and all played out poetically on stage. What is “white-facing” anyway and who exactly needs to “go back to” where exactly, in a country which threatens its own racialised inhabitants with remigration? Cypressenburg offers the above and more up for discussion.

Tonica Hunter
Tonica Hunter
© Alexandra Stanić

TONICA HUNTER

Tonica Hunter (she/they) ist eine Kuratorin, Dozentin und DJ, die ursprünglich aus London stammt und seit 2014 in Wien lebt. Tonicas Arbeit umfasst die Bereiche Kuration (Musik, Performance, Diskurs, visuelle Medien), Forschung und Lehre mit dem Schwerpunkt Kunst und soziale Gerechtigkeit. Tonica arbeitete bereits für und mit Institutionen und Organisationen wie die Universität für Musik und darstellende Kunst (MDW), die Universität für angewandte Kunst Wien (Angewandte), Ars Electronica, Weltmuseum, Wellenklænge, Wiener Festwochen, Youki Film Festival, Österreichisches Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music, Kunstraum Niederösterreich, Tanzquartier Wien – artistic research lab und UNESCO Österreich, nur um einige zu nennen. Seit 2021 sitzt sie im Beirat der Frauendomäne als Expertin für Kunst und Kultur und im Beirat der Kulturinitiativen des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS).

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Cypressenburg

Kasino
Golda Barton nach Nestroy
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Austrian Gangstersound

Playlist
#8: Playlist von MING zum Stück CYPRESSENBURG
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