Zur Gründung des Akademietheaters
Im Februar 1923 wurde Max Paulsen zum Direktor ernannt; Mitte Juli 1923 beendet er seine Direktionszeit, die erfüllt war „mit rastloser, intensivster Arbeit, umso aufreibender, als die schon von ihm selbst vorbereitete Angliederung des Akademietheaters zur Durchführung gelangte."
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Ein neuer „Leiter“ übernimmt
Am 5. August 1922 trägt Hugo Thimig in sein Tagebuch ein: „Max Paulsen ist zum Direktor des Burgtheaters ernannt worden. Auf seinen Wunsch wird er „Leiter“ und nicht „Direktor“ tituliert werden. Was die Befähigung, den künstlerischen und sachlichen Ernst anlangt, und die Anständigkeit des Charakters, konnte kaum ein besserer Mann gefunden werden und es bleibt ein Rätsel, daß in Österreich, bei einem streberischen Staatstheater-Präsidenten, wie Herr Vetter es ist, dieser Mann gewählt werden konnte." (H. Thimig)
Im Februar 1923 wurde Paulsen — zunächst nur Leiter in Rücksicht auf die Beurlaubung von Wildgans — definitiv zum Direktor ernannt; Mitte Juli 1923 beendet er seine Direktionszeit, die erfüllt war „mit rastloser, intensivster Arbeit, umso aufreibender, als die schon von ihm selbst vorbereitete Angliederung des Akademietheaters zur Durchführung gelangte." (F. Herterich)
Auch er verweigerte sich Eingriffen seitens inkompetenter Stellen in seine Verantwortlichkeitsbereiche. Rudolph Lothar charakterisiert den — damals bereits seit 24 Jahren dem Burgtheater angehörenden Schauspieler, seit 1920 auch höchst erfolgreichen Regisseur des Hauses, als einen „tatkräftigen, entschlossenen Mann und erfüllt von jener Theaterbesessenheit, die nun einmal unerläßlich ist, wenn im Theater Gutes und Großes geleistet werden soll. Aber Paulsens Tugenden wurden zu seinen Fehlern. Er war der Mann des unbeugsamen Rechtsgefühls, der keine Kompromisse kannte, der mit überpreußischer Korrektheit und Disziplin die Geschäfte leitete … Paulsens großer Trumpf und seine Tat war der ungeahnte Erfolg des Akademietheaters mit Amüsierstücken, die Geld einbrachten. Das Akademietheater nahm sogar einen Anlauf, das Burgtheater zu sanieren." (R. Lothar)
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Das Neue Wiener Journal druckt am 27. August 1922 eine Tagebuch-Eintragung von Hermann Bahr (7. August 1922) ab, der von Gesprächen in Schloß Leopoldskron, also mit den Freunden von Max Reinhardt in Salzburg berichtet. Auf die Frage, warum er Paulsen für den einzig richtigen Mann halte, das Burgtheater wieder einmal zu „retten", führt er aus, daß Paulsen allein die künstlerische, moralische und mitreißende Kraft habe, dieser Aufgabe gewachsen zu sein.
Das „Singspielhaus“ in der Lothringerstraße
Das administrative Abenteuer, das Akademietheater dem Burgtheater zuzuordnen, belegt mit Dokumenten Martha Weichselbaum-Dangl in ihrer Dissertation über Max Paulsen.
Die Konzession lautete auf seinen Namen und ist vom Wiener Magistrat als politischer Landesbehörde (7. September 1922) zunächst an die Polizeidirektion gegangen, wobei ihm erlaubt wird, bis Ende Juni 1922 „fallweise Theatervorstellungen in deutscher Sprache, und zwar Aufführungen dramatischer Werke aller Art, mit Ausnahme von Opern, Operetten und Balletten, zu veranstalten…" Wenn diese Konzession im Endtext auf „Singspielhaus" gelautet hat, wie Max Paulsen erwähnt, dann kann es sich nur um die damals übliche Bezeichnung für „gelegentliche, kleinere Veranstaltungen" gehandelt haben, ohne daß dem Wort „Singspiel" eine inhaltliche Bedeutung beigemessen wurde.“ (M. Weichselbaum-Dangl)
Am 7. September 1923 wurde die Konzession an den verantwortlichen Vertreter der Bundestheaterverwaltung überschrieben.
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Am 16. September 1922 meldete die Neue Freie Presse:
„Das Projekt, das Akademietheater dem Burgtheater anzugliedern, ist durch den Schreckruf ‚Reinhardt ante portas` endlich verwirklicht worden. Dieses Ereignis ging vorigen Freitag mit der Aufführung von Goethes ‚Iphigenie' …vor sich. Man gedenkt, den Spielplan des kleinen Burgtheaters vorwiegend mit altbewährten Konversationsstücken des großen Hauses zu füttern."
Eine Eröffnung mit Hindernissen
Ein Buchdruckerstreik verhinderte, daß über die Eröffnung des Hauses zum fälligen Termin in den Zeitungen berichtet werden konnte.
Am 8. September hatte dieses Ereignis stattgefunden. Die Bevölkerung konnte nur durch eine handgeschriebene Affiche am Haus in der Lothringerstraße und am Burgtheater informiert werden. Das Illustrierte Wiener Extrablatt vom 24. August 1922 gibt ein Interview wieder, in dem Paulsen über seine Pläne spricht; daraus geht eindeutig hervor, daß Paulsen, seinerzeit auch Professor an der k. u. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst, das Akademietheater vorwiegend der Nachwuchsschulung im hauseigenen Rahmen widmen wollte:
„Ich will den schauspielerischen Nachwuchs im Akademietheater mit größter Aufmerksamkeit verfolgen. Ich denke an die Angliederung dieses Theaters, damit der in der Staatsakademie für darstellende Kunst vorhandene, bisher zu wenig ausgenutzte Nachwuchs dem Burgtheater nicht verloren geht.
Wenn man dem Burgtheater das Akademietheater angliedert, wenn man das Schönbrunner Schloßtheater zu einem Theater adaptiert, in dem man ganzjährig spielen kann, dann sind drei Schauplätze für ausreichende Betätigung gegeben …
Ich will die Klassiker pflegen und ich möchte das moderne Konversationsstück wieder zur Geltung bringen. Gute Stücke gibt es die Menge!"
Von Puristen des „dichterischen Theaters", also solchen, die Theater nur des Dichters willen rechtfertigen; und von Puristen des „erzieherischen" oder „volksbildenden" Theaters ist Paulsens Akademietheater als „Amüsiertheater" vielfach abgelehnt worden.
Gute Stücke gibt es die Menge!
Neue Stücke, Erfolge & Misserfolge
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Im ersten halben Jahre brachte Paulsen hier neu:
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„Quality Street" von James M. Barrie (16. September 1922), zum ersten Mal am Burgtheater 1904;
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„Die, Lokalbahn", Komödie von Ludwig Thoma, am 15. Oktober 1922
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am 28. Oktober folgt ein Schwank von G. von Moser „Der Bibliothekar" (bis 1928 im Akademietheater 26mal), ein Erfolgsstück von 1880 (bis 1888 in der Burg 63mal gegeben;
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„Die Frau von vierzig Jahren" von Sil-Vara, eine Erstaufführung, vom 21. Dezember 1922 bis zum 4. April 1932 75mal im Akademietheater gegeben;
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„Klein Dorrit", Lustspiel nach Charles Dickens von Franz von Schönthan (1. Jänner 1923 bis Jänner 1930 im Akademietheater 24mal und 2mal im Burgtheater) – ein Rückgriff auf ein Erfolgsstück des Jahres 1905 (bis 1913 in der Burg 47mal);
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Als Neuinszenierung gab er zwei Werken aus dem Jahre 1920:
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„Die Reise in die Mädchenzeit" von A. Engel und H. Sassmann (insgesamt seit 1920 in der Burg 11mal, im Akademietheater 7mal vom 10. März 1923 bis Oktober dieses Jahres)
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„Die Schwestern oder Casanova in Spa" von Arthur Schnitzler (bis März 1920 im Burgtheater 12mal, im Akademietheater 3mal bis April 1923)
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Weitere Erstaufführungen mit großem Publikumszulauf (neben Sil-Vara als Erfolgsspitze):
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„Der gute König" von Raoul Auernheimer (5. April 1923; 34mal bis 1924)
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„Der Kreis" von Somerset Maugham (19. Mai 1923; 23mal im Akademietheater, 1mal im Burgtheater bis 1929)
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„Das blaue Wunder" von Paul Wertheimer (2. März 1923; 15mal bis November 1923)
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„Der Herr Verteidiger" von Franz Molnár und Alfred Halm (4. Jänner 1923; 13mal bis 20. Mai 1923)
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„Der Krampus" von Hermann Bahr (20. April 1923; 9mal bis Juni 1923 im Akademietheater, 1mal im Burgtheater)
Das dichterische „dramatische Gedicht" von Rudolf Borchardt: „Verkündigung", in der Regie von Heine (30. Mai 1923), fand hingegen nur 3 Aufführungsabende.
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Im Burgtheater hielten die Spitze:
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Nestroy mit „Einen Jux will er sich machen" (18. Mai 1923),
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eine Neuinszenierung des „Wintermärchen" von Shakespeare (27. Juni 1923),
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„Antonius und Cleopatra" von Shakespeare (26. März 1923),
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„Der Graf von Charolais" von Richard Beer-Hofmann (14. Oktober 1922)
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„Louis Ferdinand Prinz von Preußen" von Fritz von Unruh (16. Dezember 1922).
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Die Planänderung
Die ausgesprochenen Zugstücke am Akademietheater sind allesamt großartige Rollenstücke; inhaltlich großteils galante Tragikomödien der gehobenen Gesellschaftsschicht; an historischen Königshöfen spielend oder in noblen Villen von reichen Witwen, Wirtschaftskapitänen, Offizieren oder von Politikern. — Man wollte gerührt werden und lachen (zumindest lächeln), doch nicht unter dem Niveau eines kultivierten Geschmackes; und das Publikum dieses Theaters bezahlte den verlangten Preis. 9 Millionen Einnahmen pro Abend waren auch 1923 eine erhebliche Summe.
Daß man Nestroy, mit Otto Tressler als Weinberl und mit Hans Thimig als Christopherl, eine so triumphale Aufnahme bereitete, zeigt, daß, auch das Publikum des Burgtheaters dankbar war für lachende Satire, Komik und Vergnügen.
Insgesamt brachte Paulsen das Repertoire des Burgtheaters von ca. 40 Stücken wieder auf einen Umfang von 103 Stücken, davon 22 im Akademietheater. Die Auslastung des Personals erreichte dadurch ein Höchstmaß. Finanziell waren bei dieser Strategie in der so verschiedenen Führung der Häuser beachtliche Ausgleiche zu beobachten.
Was veranlaßte Paulsen, so rasch schon von seinem zuerst angemeldeten Plan, das Akademietheater als Nachwuchsbühne zu brauchen, abzugehen und hier der lachenden Komödie den Spielplatz zu räumen, in diesem Haus, das keine Stehplätze und keine billigen Plätze hatte, das auch an Organisationen nicht abgegeben wurde, sondern den vollen und hohen Kaufpreis verlangte?
Er brauchte dieses Haus ja so notwendig, um Einnahmen zu erzielen, die er mit Nachwuchs-Studio oder mit Bildungstheater niemals hereinbekommen hätte.
Aus: Das Burgtheater und sein Publikum. Herausgegeben von Margret Dietrich. Festgabe zur 200-Jahr-Feier der Erhebung des Burgtheaters zum Nationaltheater. Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1976.
Der Text wurde gekürzt. (Anm. Red.)