MEINE KRONE, MEIN REICHSAPFEL, MEIN SCHWERT?
Hans Christian Andersens Märchen (1837) stellt die Frage nach dem Wesen von Autorität: Welche Fiktionen benötigt die Macht zur eigenen Rechtfertigung? Dramaturgin Sabrina Zwach traf Historiker Christian Lannert zum Gespräch über die Insignien der Macht.
Sabrina Zwach: „Der junge König schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen, wie in einer Verkleidung, einher, sodass er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopf ab.“ Dies ist der Kommentar des jungen Goethe, der 1764 Augenzeuge der Krönung Josephs II. in Frankfurt wurde. Welche Insignien – Kleinodien – gibt es außer der Krone, dem Zepter und dem Reichsapfel?
Christian Lannert: Die Bezeichnung Reichskleinodien bedeutet soviel wie „Reichsschatz“. Sie sind die Herrschaftsinsignien der Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches und der einzige fast vollständig erhaltene Kronschatz aus dem Mittelalter. Dieser Schatz wird in der Wiener Hofburg aufbewahrt und umfasst wesentlich mehr Bestandteile als diejenigen, die landläufig mit dem Erscheinungsbild eines Königs assoziiert werden. Er hat sich über Jahrhunderte angesammelt. Da haben wir zunächst die Krönungsinsignien im engeren Sinn: Krone, Zepter, Schwert und Reichsapfel, die so ähnlich schon von den römischen Kaisern und den germanischen Kriegerstämmen verwendet wurden. Dann gibt es eine Reihe von Kleidungsstücken: Mantel, Tunika, Dalmatik, Handschuhe, Pantoffeln, Ring, die im Wesentlichen dem Ornat eines katholischen Bischofs entsprechen und zeigen, dass der Träger durch seine Würde kein Normalsterblicher mehr ist, sondern quasi in die geistliche Sphäre entrückt ist. Siehe auch Die zwei Körper des Königs, Gespräch mit Joseph Vogl.
Schließlich eine große Gruppe von Reliquien. Nach katholischer Überzeugung sind dies Gegenstände, die durch Kontakt zu heiligen Personen mit deren Kraft aufgeladen wurden und dadurch dem Besitzer besondere Gnadengaben verleihen. Dazu gehörte vor allem: die sogenannte Heilige Lanze, der Überlieferung nach jene Waffe, mit der die Seite Christi durchbohrt wurde. Noch vor der Krone war dieses Stück das wichtigste in der Sammlung.
Alle diese Insignien liegen in Wien. Warum ist das so?
Das Heilige Römische Reich wurde nie ein Zentralstaat wie Frankreich oder England. Seine Hauptstadt war das ferne Rom und sein Herrschaftsgebiet quasi die gesamte christliche Welt. Das Reich bestand bis zu seinem Ende aus hunderten mehr oder weniger unabhängigen Territorien, darunter große wie Österreich oder Preußen, mittlere wie Bayern und winzige, die ein Dorf oder ein Kloster umfassten. Das Königtum war ein Reisekönigtum. Macht konnte der Herrscher nur dort ausüben, wo er tatsächlich vor Ort war. Die Reichskleinodien wurden mitgeführt und über die Jahrhunderte an verschiedenen Orten gelagert. Ab dem 15. Jahrhundert lagen sie dann größtenteils „zu ewiger Verwahrung“ in Nürnberg. Von dort wurden sie für Krönungen nach Aachen und später nach Frankfurt geschafft und im Übrigen einmal im Jahr in einer religiösen Zeremonie dem Volk gezeigt, das dafür Ablässe bekam.
Vor Napoleon wurden sie dann in die Residenzstadt der regierenden Dynastie gerettet: Das Wien der Habsburger. Die Nazis schafften sie zurück nach Nürnberg, und nach dem Krieg kamen sie wieder nach Wien und werden seitdem auch nicht mehr ausgeliehen – auch, um etwaigen Geiselnahmen durch die Deutschen vorzubeugen.
Welche Bedeutungen haben diese Herrschaftszeichen? Wer hat sie erfunden, kreiert oder gestaltet?
Die Krone besteht aus acht Platten mit Edelsteinen und Emaillearbeiten mit biblischen Sprüchen. So symbolisiert sie das himmlische Jerusalem, das Himmelreich, Christus und die Heiligen. Die acht Platten lassen sich auseinandernehmen und die Krone ist so in unsicheren Zeiten leichter transportabel. Der Brauch, jemand Wichtigem etwas gut Sichtbares aufs Haupt zu setzen, das ihn größer macht und besser sichtbar, ist so alt wie die Herrschaft von Thron und Altar. Zepter, Schwert und Lanze sind Waffen und verweisen wenig subtil darauf, dass die Quelle der Macht zu jeder Zeit die Fähigkeit zu erfolgreicher Gewaltausübung ist.
Der Reichsapfel ist eine goldene Kugel, die die Welt symbolisiert, die der Herrscher in seiner Hand hält. Sie ist erhöht durch ein Kreuz, das auf das Gottesgnadentum verweist. Der Krönungsornat ist den Gewändern der christlichen Geistlichkeit nachempfunden, wobei der Mantel vermutlich aus Sizilien stammt und arabische Schriftzeichen trägt, was aber niemanden weiter störte. Diese Kleidungsstücke wiederum gehen auf antike römische Alltagskleidung zurück. Das Messgewand war ursprünglich eine Art Poncho, ein Reisemantel. Es stammt aus einer Zeit, in der die christlichen Würdenträger der Gemeinde noch nicht enthoben waren. Die roten Pantoffeln des Ornats gehen wie die roten Prada-Loafer des Papstes auf die Kleidung des römischen Kaisers zurück, der so heilig war, dass seine Füße nichts anderes als Purpur berühren sollten.
Wie unterscheidet sich der symbolische Anspruch von der tatsächlichen Macht der Träger?
Im Fall des Heiligen Römischen Reiches: Erheblich! 1790 schrieb Karl Heinrich von Lang über die Krönung Leopolds II.: „Der Kaiserornat sah aus, als wär’ er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche Krone, als hätte sie der allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselstein und Glasscherben besetzt, auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen Wappen.“ Es gab also auch Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die im schlimmsten Fall lächerlich wirkten. Der Theorie nach kleiden Krönungsinsignien den Herrscher in die Aura des Göttlichen, in triumphale Herrlichkeit. Er ist aber am Ende des Tage nur ein Mann. Krönungsinsignien symbolisieren Macht, aber sie konstituieren sie nicht. Wenn die tatsächliche Macht fehlt, dann ist der Kaiser – nackt. Und wie lächerlich, wenn er das nicht erkennt!
In heutigen Demokratien scheinen diese Herrschaftszeichen unangebracht. Oder gibt es sie mehr oder weniger versteckt noch immer?
Beides ist der Fall. Sie existieren, und sie sind unangebracht. Ihr Überleben verdanken sie der Nostalgie, der persönlichen Integrität einzelner gekrönter Häupter und der Tradition, die sie symbolisieren. Und vor allem: ihrer schieren Machtlosigkeit. Von ihrer Existenz geht keine Gefahr für die Demokratie mehr aus, sie zu bekämpfen ist schlicht nicht nötig. Die freie Gesellschaft hält sie sich sozusagen als Museumsstück und vergisst oder ignoriert den Symbolgehalt der Zeremonien einfach.
Was sind heutige Herrschaftszeichen?
Herrschaftszeichen sind ein Code, der Machtansprüche sichtbar macht und von den Zeitgenossen entsprechend verstanden wird. Somit sind sie überzeitlich und im jeweiligen Zeitkontext wandelbar. Sie sind quasi eine politische Sprache. Dazu gehören monumentale öffentliche Bauwerke, Militärparaden oder die Inszenierung von Politiker*innen in sozialen Medien als Landesmütter und -väter oder tatkräftige Macher*innen: Der oberkörperfreie Putin, der in der russischen Weite zur Jagd reitet, Donald Trump mit seiner zu lang gebundenen roten Krawatte, die schnell als wenig subtiles phallisches Symbol verstanden wurde, die jährliche Moskauer Siegesparade, die sich von der sowjetischen Inszenierung nur dadurch unterscheidet, dass sie nun unter einer riesigen Christusikone mit Bekreuzigung des Kommandeurs beginnt. Das Skript wurde also dem Zeitgeschmack angepasst, die Requisiten aktualisiert, aber das Stück bleibt dasselbe.
ZUM STÜCK
Der eitle Kaiser hat alles, was man so braucht zum Leben, und noch viel mehr. Das Volk hat nichts und davon noch weniger. Misswirtschaft der Minister, Verschwendung von Ressourcen und ein undemokratisches politisches System schaffen Not und Missstände. Aber Hans und Marie haben einen genialen Einfall: Am Ende wird der Kaiser nach Strich und Faden hinters Licht geführt. Ein Märchen über die Angst, nicht genug zu sein und zu haben. Aber auch darüber, wie viel der/die Einzelne mit Mut und Humor erreichen kann.
Christian Lannert
hat unter anderem Geschichte und Germanistik an den Universitäten Heidelberg und Catania studiert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Darmstadt.