TO KILL OR ALLOW TO LIVE
Ayana V. Jackson wurde 1977 in Livingston (New Jersey) geboren und arbeitet als Fotografin und Filmemacherin. Sie studierte Soziologie und Fotografie in Atlanta (Georgia), Berlin und Paris. Bekannt wurde sie u.a. für ihre Fotoserien über die afrikanische Diaspora, z.B. African by Legacy und Archival Impulse. Hier erzählt sie über die Hintergründe ihrer Fotoserie "To Kill or Allow to Live", die das BURGTHEATER MAGAZIN #5 durchzieht.
Am 9. August 2014 wurde Michael Brown, ein 18-jähriger Schwarzer Junge, in der Stadt Ferguson, Missouri, von einem weißen Polizeibeamten namens Darren Wilson sechsmal getroffen und dabei tödlich verwundet. Es gilt als erwiesen, dass Brown sich zum Zeitpunkt der Schüsse mit erhobenen Händen ergeben hatte. Der Fall brachte den Slogan „hands up don't shoot” hervor, der während der Black Lives Matter- Proteste vielfach verwendet wird.
"To Kill or Allow to Live" ist eine Bewegungsstudie, die im darauffolgenden Jahr als Reaktion auf die Entscheidung der Grand Jury, Wilson nicht anzuklagen, entstanden ist. Formal ist sie von den Fotografen des 19. Jahrhunderts Eadweard Muybridge und Étienne-Jules Marey inspiriert, zwei Pionieren der Stop-Motion-Fotografie. Wie in früheren Arbeiten auch verschmelze ich in ihr Vergangenheit und Gegenwart. Meine Figur trägt Kleidung vom Ende des 19. Jahrhunderts, der Einsatz meines eigenen Körpers versetzt das Werk jedoch in die Gegenwart. In dieser Arbeit bitte ich mein Publikum besonders darum, das Vermächtnis der Verbrechen an schwarzen Körpern in meinem Geburtsland mit einzubeziehen.
"To Kill or Allow to Live" entlehnt den Gesamttitel sowie die Namen der einzelnen Bilder dem bahnbrechenden Text Necropolitics des kamerunischen Politologen Achille Mbembe. Mbembe weist darauf hin, dass zu den bestimmenden Merkmalen der Souveränität eines Nationalstaates die Fähigkeit gehört, über Tod und Leben zu entscheiden. Diese Souveränität setzt sich auch in Kriegsgebiete fort, bezieht sich auf Inhaftierungen sowie andere Formen der Strafverfolgung.
Meine Figur wird in der Serie mit verbundenen Augen dargestellt, um an die Idee einer „blinden Gerechtigkeit” zu erinnern – ein Konzept, das von den alten Griechen eingeführt wurde, die als erste Statuen von Frauen mit verbundenen Augen und Waagen vor ihren Gerichten aufstellten. In To Kill or Allow to Live fehlt die Waage, und die Figur ist völlig instabil. Anstatt Ausgewogenheit und Gleichheit zu repräsentieren, muss sie dem Kugelhagel eines ungerechten Justizsystems ausweichen.
Seit Generationen hat die die Community der Schwarzen Menschen ein umkämpftes Verhältnis zum Staat. Das Gesetz und die Idee von Gerechtigkeit selbst können uns schnell in Gefahr bringen. Das Konzept einer blinden Gerechtigkeit bleibt eine Sehnsucht, die immer noch der Realisierung harrt.