"Ich ist ein Anderer"
PROBENEINBLICKE #7: Zu Thomas Bernhard, einem Motorsägen-Unfall und dem Stück DIE JAGDGESELLSCHAFT. Ein Gespräch
Unser Gesprächspartner ist umgeben von Thomas Bernhard-Reliquien: ein zerfetztes Stück Hosenstoff, Manuskripte mit Annotationen und handschriftlich korrigierten Texten, Fotos und Aufnahmen aus verschiedenen Lebensabschnitten des 1989 verstorbenen Autors – anlässlich der Gesprächsreihe PROBENEINBLICKE #7 zur Neuinszenierung von Thomas Bernhards DIE JAGDGESELLSCHAFT befinden wir uns in der Dauerausstellung des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek und sprechen mit dem Literaturwissenschaftler und Direktor des Hauses, Dr. Bernhard Fetz.
Thomas Bernhards 90. Geburtstag wird 2021 im ganzen Land zelebriert, seine Texte und Werke stehen neuerlich hoch im Kurs – als wäre das je anders gewesen. Den Abschluss der #ThomasBernhard90-Feierlichkeiten des Burgtheaters (seit 9. Februar 2021 wurden täglich Lesungen unseres Ensembles veröffentlicht) bildet eine Sonderausgabe unserer Reihe PROBENEINBLICKE zur nächsten Bernhard-Premiere DIE JAGDGESELLSCHAFT im Akademietheater:
Bernhard Fetz gibt im Gespräch mit Dramaturg Alexander Kerlin Einblicke in das Selbstverständnis des Landbewohners und Rollenspielers Thomas Bernhard – und erzählt, auch anhand eines Unfalls mit einer Motorsäge aus dem Jahr 1972, wie Leben und Werk des Schriftstellers in Bezug zueinander stehen.
IM ZUSTAND DER TÄUSCHUNG
Lesen Sie hier das ausführliche Interview mit Dr. Bernhard Fetz anlässlich der Premiere DIE JAGDGESELLSCHAFT und #ThomasBernhard90.
Bernhard wurde immer wieder gefragt: „Wer sind sie wirklich? Sind sie das?“ Und er sagt immer „Ich bin ein anderer. Ich bin viele. Wir sind immer andere.“
Wenn man sich die Fotos ansieht von seinem Haus in Ohlsdorf, dann hat man das Gefühl, das ist gar nicht so richtig zum Wohnen gemacht, sondern es wirkt alles irgendwie inszeniert, unfassbar aufgeräumt. Jedes Möbelstück ist sehr bedacht. Und irgendwo lag angeblich zu einer Zeit ein Exemplar seiner AUSLÖSCHUNG drapiert, und der Raum darum war farblich an das Buch angepasst. Dann die vielen Bilder von Bernhard in Tracht. Kann man sagen, Bernhard hat sich und sein Leben auch für die Öffentlichkeit inszeniert?
Ja, er war Poseur. Er hat sich eben als Bauer zu Nathal, wo er seinen Vierkanthof hatte, inszeniert. Er hatte einen Traktor, eine eigene Stallanlage, die damals hochmodern war, wo aber nie Kühe drinstanden. Bernhard wurde immer wieder gefragt: „Wer sind sie wirklich? Sind sie das?“ Und er sagt immer „Ich bin ein anderer. Ich bin viele. Wir sind immer andere.“ Das sagt auch die Figur des Schriftstellers in DIE JAGDGESELLSCHAFT, und nimmt damit auch indirekt Bezug auf Rimbauds berühmtes Zitat, das man vielleicht an den Anfang des 20.Jahrhunderts stellen könnte: „Ich ist ein anderer.“ Bernhard sagt: In mir steckt meine ganze Familie. In mir stecken Kleinbauern, Schweinehändler, Schriftsteller, Philosophen wie der Großvater, Kleinbürger, Großbürger. Und ich bin irgendwie alles. Aber es gibt natürlich wenige Menschen, die damit so spielerisch umgehen konnten und diese verschiedenen Existenzformen ausagieren, in einem kongenialen Spiel mit den Medien, mit Journalist*innen, mit Interviewer*innen, mit Fernsehteams.
Der Ofen im Jagdhaus ist fast gar nicht anders zu lesen als in Bezug auf die Shoah. „Die Kunst des Ofenheizens / ist die Kunst der Gewissenhaftigkeit / des Nachlegens / und die Kunst der Pünktlichkeit /des Absperrens“, sagt der Schriftsteller in offen ironischer Anspielung auf deutsche Tugenden.
Das spielt natürlich bei Bernhard, nicht nur in HELDENPLATZ, sondern im gesamten Werk eine ganz zentrale Rolle. Einerseits die Vernichtung der europäischen Juden im Dritten Reich, aber auch die damit verbundene Emigration der „Geistesmenschen“ aus Österreich. Wie etwa Wittgenstein; diejenigen, die weggehen aus Österreich, die nur woanders existieren können. Die vertriebene Intelligenz nach 1945. Das hat viel mit Bernhards Blick auf Österreich zu tun, auf dessen Geistesfeindlichkeit.
Wir haben ja von Bernhard als Poseur gesprochen. 1972 hat er den Wald vor einem seiner Häuser - wunderbar gelegen, oberhalb von Gmunden - ausgeputzt, wie man im Dialekt sagt, das heißt Bäume geschnitten. Ein junger Baum ist dabei zurückgeschnellt, hat ihm die Motorsäge aus der Hand geschlagen, die laufende Motorsäge ist oberhalb des Knies ins Bein des Dichters eingedrungen und hat ihn verletzt. Er ist dann ins Krankenhaus gefahren und sein Bruder, der Internist in Gmunden war, hat die Wunde dann später noch versorgt. Und diesen Hosenunfall erzählt Bernhards Freund Karl Ignaz Hennetmair in seinem Tagebuch EIN JAHR MIT THOMAS BERNHARD, das viel später erschienen ist, auf unnachahmliche Weise. Hennetmaier muss die Hose aus dem Müll gefischt oder Bernhard abgeluchst und dann eben aufgeklebt und beschriftet haben. Und das zeigen wir hier auch im Literaturmuseum als ironischen Kommentar zum Thema Dichterverehrung. Aber ich finde diese Hose eben gerade mit Blick auf die Stücke und auf das Werk interessant, weil es ja auch schlimmer hätte ausgehen können. Und kurz vorher, also vor dem Unfall, ein, zwei Jahre vorher, ist EIN FEST FÜR BORIS herausgekommen, das Stück, mit dem er bekannt wurde, da kommen lauter Beinlose vor. Und am manifestesten ist es dann in DIE JAGDGESELLSCHAFT, wo nicht der Schriftsteller diesen Unfall erleidet, sondern der General mit einer Motorsäge bewaffnet in den Wald geht und es zu diesem fatalen Unfall kommt. Und dann kommt eben der Satz, den man auch wieder biographisch lesen kann: Auch so ein Unfall, der nicht tödlich ausgeht, hängt mit unserer Todeskrankheit zusammen. Das stimmt biographisch für Bernhard und stimmt überhaupt. Er ist sozusagen ein Vorausweisen auf das, worauf unser aller Leben zusteuert. Eben auf den Tod. In einer früheren Fassung sollte der General, der diesen Unfall erleidet, dabei den Arm verlieren. In der Endfassung hat er ihn dann in Stalingrad verloren.
„Bei mir hängt alles in der Luft, wenn man nicht weiß, woher das alles kommt, woher ich komme.“
Drittens gibt es Motive wie diesen Motorsägen-Unfall, die literarisch verarbeitet und in einen anderen Kontext gestellt im Werk auftauchen. Aber bei Bernhard ist es noch viel grundsätzlicher. Und das sagt er ja irgendwann auch selber als Begründung dafür, warum er plötzlich begonnen hat, autobiographische Bücher zu schreiben: „Bei mir hängt alles in der Luft, wenn man nicht weiß, woher das alles kommt, woher ich komme.“ Eben besonders seine Todeskrankheit, die Tuberkulose, die er mit 19 nur knapp überlebt hat. Er war ja eigentlich schon abgeschrieben von den Ärzten. Und das wollte er aufschreiben und hat gemeint, eben das sei wichtig für das Verständnis seines Werks. Ich glaube, das ist als Folie fast noch entscheidender als die einzelnen Anekdoten.
Transkription: Stella Radvon.
Bernhard Fetz
ist Direktor des Literaturarchivs, des Literaturmuseums, der Sammlung für Plansprachen und des Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek und Dozent am Institut für Germanistik der Universität Wien. Er ist Literaturwissenschaftler, arbeitet als Ausstellungskurator und Literaturkritiker und ist Herausgeber der Reihe ÖSTERREICHS EIGENSINN. EINE BIBLIOTHEK (Jung und Jung Verlag, 2012 ff). Er ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Monographien, Sammelbände und Aufsätze vor allem zur Literatur und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts; insbesondere zur Theorie der Biographie und des Archivs und zur österreichischen Moderne.
Herzlichen Dank an das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek
Im Akademietheater
DIE JAGDGESELLSCHAFT
von THOMAS BERNHARD
Regie: Lucia Bihler
Mit: Jan Bülow, Maria Happel, Arthur Klemt, Robert Reinagl, Markus Scheumann, Martin Schwab, Arthur Klemt, Robert Reinagl, Dunja Sowinetz u.a.
In einem Jagdhaus, fernab der Stadt, inmitten eines Zuchtwalds von gigantischen Ausmaßen, warten die Generalin und der Schriftsteller auf die Ankunft des Generals: ein stolzer Stalingrad-Veteran, Großgrundbesitzer, Jäger und ranghoher Politiker auf dem Höhepunkt seiner Macht. Es schneit und der Bedienstete Asamer heizt ein gegen die winterliche Kälte. Das Gespräch der Generalin mit dem Dichter kreist um den Finalzustand, in dem sich der alte General und dessen Welt entgegen dem Anschein tatsächlich befinden.
Der Wald ist von Borkenkäfern zerfressen und muss abgeholzt werden, im Körperinneren des Generals wütet eine unheilbare Krankheit, und sein Augenlicht ist vom Grauen Star angegriffen, die Erblindung nur eine Frage der Zeit. Den unvermeidbaren, doppelten Untergang sieht der General nicht voraus: Seine Frau versucht mit allen Mitteln, die unheilbaren Krankheiten von Wald und Körper vor ihm zu verheimlichen. Als der General schließlich mit seiner Gefolgschaft im Jagdhaus ankommt und sich zur Jagd bereitmacht, ahnt er noch nicht, dass es seine letzte sein könnte.