Editorial #3
von Tobias Herzberg
Die Proteste begannen im Sommer 2019. In der knapp zehn Millionen Menschen zählenden Metropole Hongkong füllten sich die Plätze, U-Bahn-Stationen und Hauptverkehrsadern mit Körpern, die gegen die geplante Einschränkung ihrer Freiheit demonstrierten. Die Massenproteste entzündeten sich an einem Gesetzentwurf, der Auslieferungen von „verdächtigen Personen“ ans chinesische Festland ermöglichen und somit der Willkür der Ein-Parteien-Regierung preisgeben sollte. Doch auch als der ursprüngliche Entwurf fallengelassen wurde, rissen die Freiheitsmärsche nicht ab, im Gegenteil. Die Protestierenden kritisieren die Stadtregierung dafür, sich zum verlängerten Arm von Peking zu machen. An den Protesten, denen die Exekutive brutal begegnet, haben sich bis heute Millionen Bürger*innen beteiligt. Einer von ihnen ist Pat To Yan, Autor und Theaterregisseur. Sein persönlicher Lagebericht gibt Einblick in die gebrochene Seele dieser hypermodernen Großstadt, die sich noch bis vor kurzem mondän und liberal anfühlte, und in der heute zeitweise Polizeigewalt und Angst regieren.
Auch die anderen Beiträge in dieser Ausgabe widmen sich dem Thema FREIHEIT – und jenen, die sich Freiheiten herausnehmen, während sie anderen genommen werden. Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek wirft begleitend zu der Uraufführung ihres neuen Stücks SCHWARZWASSER einen essayistischen Blick auf das jüngste österreichische Politbeben, das auf einer Ferieninsel seinen Ausgang nahm.
Die ungarische Schriftstellerin Zsófia Bán verlegt die Engelsburg aus Tosca an die zugefrorene Donau in einem autoritär geführten Land. Und die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen spricht mit Bühnenbildnerin Muriel Gerstner anlässlich ihrer gemeinsamen Shakespeare-Bearbeitung THIS IS VENICE über ererbte Unfreiheit und Rassismen im Patriarchat und Strategien des Widerstands.
Grundsätzliche Gedanken zur Freiheit der Kunst macht sich Regisseur Oliver Frljić, der mit Heiner Müllers HAMLETMASCHINE jüngst die zweimonatige Veranstaltungsreihe Europamaschine im Kasino eröffnet hat.
Was in Hongkong geschieht, ist eine der größten Freiheitsbewegungen des noch jungen 21. Jahrhunderts, auf die wir aus der Ferne blicken. Die Bildstrecke in diesem Heft kombiniert journalistische Aufnahmen der Massendemonstrationen mit jenen analogen Mitteln, zu denen die Protestierenden greifen, um die staatliche Internetkontrolle zu umgehen. Haftnotizen, Flugblätter und Transparente finden sich als Collagen auf den Bildern. Einige davon hat Pat To Yan für uns übersetzt. Sie warnen vor Repression, mahnen ans Gewissen und vermitteln eine unmissverständlich klare Forderung: Freiheit.