“Für mich ist das politisch!”


Nach der Generalprobe von BUNBURY im Akademietheater Ende November packt Antonio Latella seinen Koffer - und reist ab. Premieren sind während der Pandemie nicht erlaubt, die Theater sind aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus geschlossen und mit der Generalprobe wird die Arbeit vorläufig auf Eis gelegt. “Ohne den Applaus und den Pfiffen des Publikums wegzugehen”, erzählt Antonio Latella nach seiner Abreise, “heißt natürlich, dass man zurückkommen darf und eine zweite Chance erhält, den Vorhang zu öffnen.” Und nachdenklich ergänzt er: “Vor allem aber erhält man die Chance zu verstehen, warum man ihn wieder öffnen muss. Diese Chance ist eine Ehre, ein Privileg, und heute muss man sich dieses Privilegs bewusst sein.” Vielleicht hätten wir uns zu sehr daran gewöhnt, dass das Aufgehen des Theatervorhangs eine Selbstverständlichkeit ist, meint Antonio Latella weiter: Die Corona-Krise hätte ihn wieder erinnert, dass Projekte nicht um des Vergnügens Willen realisiert werden, sondern weil es ein Bedürfnis nach Geschichten gäbe. Ein Bedürfnis des Publikums, Geschichten zu hören: "und unter all den Möglichkeiten von Netflix & Co wählt das Publikum immer noch das Theater! Für mich ist das politisch!". Und ein Bedürfnis, der Künstler*innen Geschichten zu erzählen – wie er, Antonio Latella selbst, aktuell mit BUNBURY von Oscar Wilde.

Bis Antonio Latella Oscar Wilde für sich entdeckte, war es ein langer Weg, schildert der Regisseur. “Ich habe mich schon immer mit Autoren auseinandergesetzt, die für ihren Ausdruck, für die klare Sprache, die sie gesprochen haben, einen hohen Preis bezahlt haben: Pier Pasolini, Jean Genet, Giordano Bruno oder Christopher Marlowe.” Oscar Wilde sei ihm aber erst begegnet, als er schon 53 Jahre alt war. “Mir gefällt, dass man mit ihm die Wahrheit entdecken und darstellen kann, aber auf eine leichte Art und Weise, nicht mit den Fäusten.”

Im Unterschied zu Pier Pasolini hätte Oscar Wilde das Schildern der Wahrheit durch die Komödie verborgen. “Als Italiener habe ich gelernt, darüber zu philosophieren, was eine Komödie ist”, sagt Antonio Latella. “Ich denke gerne über die menschliche Komödie nach, über das alltägliche Leben, und lächle über unsere kleinen, großen Abenteuer und Missgeschicke. Ich habe immer gedacht, dass Menschen, die die Gabe haben, einen zum Lachen zu bringen, intelligente Menschen sind, die einem ein Lächeln schenken können, auch wenn man es nicht will.” 

In der Geschichte der Menschheit, so Antonio Latella, hätten uns Komödianten dort geholfen, wo viele Dinge nicht gesagt oder getan werden konnten: “Komödianten haben uns durch schwierige Zeiten geholfen, das ist Teil der Menschheitsgeschichte. Ohne die Komödie wäre keiner von uns hier!” Und er ergänzt: “Ich glaube, dass die Fähigkeit über uns und unser Unglück lachen zu können, uns von uns selbst befreit. Ich glaube, dass Ironie und Lachen uns immer retten wird.” In Oscar Wildes Komödie BUNBURY interessiert Latella vor allem das was hinter der Komödie liegt. Denn, so Latella, Wilde amüsiert sich, indem er das Publikum amüsiert, dabei sehr wohl aber auch provoziert, unterschwellig auf einen dunkleren Hintersinn anspielt. Dies wurde Wilde zum Verhängnis: Je berühmter er wurde, erzählt Antonio Latella, desto gefährlicher wurde es für ihn, bis Wilde schließlich als einer der bekanntesten und gleichzeitig umstrittensten Schriftsteller im viktorianischen Großbritannien zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde und später völlig verarmt in Paris starb. 

Theater ist eben nicht nur Unterhaltung, betont Antonio Latella und spielt dabei auch auf die gegenwärtige Situation des Kultur-Lockdown an:  “Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Land - und ich spreche jetzt als Italiener über Italien - nicht versteht, dass Kultur nicht nur Unterhaltung ist, dass sie nicht das Spiel von Hofnarren ist; es ist nicht hinnehmbar, dass ein Land nicht versteht, dass Kultur Arbeit produziert, Arbeit gibt.”

Als Regisseur ist es Antonio Latella wichtig, dem Publikum etwas zu geben, ein Lächeln oder eine Träne, etwas das zum Lachen anregt oder zum Nachdenken. “Geben, nicht empfangen”, mahnt er. “Geben ist ein Geschenk, und wir sollten nicht erwarten, dass uns etwas zurückgegeben wird. Dem Publikum zu geben ist eine absolute Geste der Liebe.”

Bis dem Publikum BUNBURY “gegeben” werden kann, wird noch einige Zeit vergehen. Eine nachgeholte Premiere, sagt Antonio Latella aber auch, wird nicht nur eine nachgeholte Premiere sein. Sie wird auch bedeuten, dass alle wieder zusammen kommen dürfen. Und das hat eine größere Bedeutung. 

© Sandra Then
ANTONIO LATELLA


geboren 1967 in Neapel, italienischer Schauspieler und Theaterregisseur. Studium am Teatro Stabile in Turin sowie in der Bottega Teatrale in Florenz. Zahlreiche internationale Inszenierungen, u. a. am Nuovo Teatro Neapel, Paradise Festival Nowosibirsk, Schauspiel Köln, Schauspielhaus Wien, Theater Basel, Residenztheater München und bei den Salzburger Festspielen. Einladung zum Berliner Theatertreffen 2020 mit "Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini" (Residenztheater München). Von 2016 bis 2020 Leiter der Theaterbiennale in Venedig.

AKademietheater bunbury
Oscar Wilde

Regie: Antonio Latella

Mit Mehmet Ateşçi, Regina Fritsch, Max Gindorff, Marcel Heuperman, Mavie Hörbiger, Florian Teichtmeister, Andrea Wenzl, Tim Werths

Die beiden Dandys Algernon und Jack lieben das Doppelleben. Um Laster und Vergnügen mit ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen, haben sich beide Lügen ausgedacht: Algernon erfindet einen kranken Freund namens Bunbury, um möglichst oft zu diesem aufs Land fahren zu können, und Jack gibt vor, sich um seinen Bruder Ernst kümmern zu müssen, um regelmäßig in die Stadt zu kommen. Oscar Wildes turbulente Komödie dreht sich um Sprache, Ernsthaftigkeit und Verstellung. Uraufgeführt 1895 in London, entwickelte sich diese bitterböse Abrechnung mit Heuchelei und Oberflächlichkeit zu einem modernen Klassiker, der nun von Antonio Latella (zuletzt Leiter der Theaterbiennale in Venedig) inszeniert wird.

Zurück nach oben