„Die Zigarette der Frau Ritter“
Von einem Aschenbecher mit Sicherheitsproblemen bei RITTER, DENE, VOSS bis hin zu Paula Wessely: Hermann Beil erinnert sich an seine Zeit im Akademietheater.
Im Rahmen des 100-jährigen Akademietheater-Jubiläums präsentieren wir zwei Fundstücke aus seinem Buch „Theaternarren leben länger. Hundert und drei Geschichten aus dem Burgtheater“.
Sicherheits-probleme
Oktober 1986
Heute tagt der Sicherheitsbeirat im Wirtschaftsministerium am Stubenring. Dieser Beirat, eine Runde von zwanzig überaus würdigen Herren, soll endgültig darüber befinden, ob Ilse Ritter in RITTER, DENE, VOSS mit einem wassergefüllten Aschenbecher in der Hand auf der Vorbühne des Akademietheaters sitzend ein paar Zigarettenzüge rauchen darf. Dieses Problem beschäftigt die Sicherheitsbehörden seit Beginn der Spielzeit. Im Sommer bei den Festspielen im Salzburger Landestheater durfte die Ritter dies noch, in Wien ist es ihr nicht mehr erlaubt. In Wien herrscht vor dem Eisernen Vorhang absolutes Rauchverbot! Das gebietet das Gesetz. Die Herren des Sicherheitsbeirates verlangen eine Änderung der Inszenierung. Wir vom Burgtheater, der kämpferische Herbert Kratochvil ist mit von der Partie, lehnen dies als Eingriff in die Inszenierung ab, zumal die Zigarette an einem anderen österreichischen Theater kein Problem gewesen ist. Im Sicherheitsbeirat wird nun darüber eifrig debattiert und jedes nur denkbare Katastrophenszenario voll Sorge, aber mit Phantasie an die Wand gemalt. Fast scheint es, der verheerende Ringtheaterbrand des Jahres 1881 soll nachträglich doch noch verhindert werden. Und einen Präzedenzfall darf es schon gar nicht geben.
#aka100
Das Foto des damaligen Programmhefts von RITTER, DENE, VOSS aus dem Jahr 1986 hat uns eine Besucherin als ihren persönlichen Akademietheater-Moment zugeschickt.
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Plötzlich schrillt das Telefon. Aus der Runde wird Herr Branddirektor A. verlangt. Dieser verkündet sodann mit ernster Miene, er sei wegen einer Bombendrohung unverzüglich zum Flughafen Schwechat abberufen. Allgemeines verständnisvolles Nicken. In das sorgenvolle Schweigen der Runde erlaube ich mir vorlaut den Hinweis: »Sehen Sie, meine Herren, das sind heute die wahren Probleme, nicht aber die Zigarette der Frau Ritter.«
Nun geht es ganz rasch. Ein Kompromiß wird empfohlen, als die ganz große Ausnahme natürlich und mit einer besonderen Auflage: Ein zusätzlicher Löschposten der Betriebsfeuerwehr muß künftig in unmittelbarer Nähe von Ilse Ritter plaziert sein, also in der ersten Reihe, ausgerüstet mit einem Zwei-Kilo-CO2-Löscher. Die Sicherheit der über hundert folgenden Vorstellungen von Thomas Bernhards Ritter, Dene, Voss ist damit endgültig garantiert.
Frau Wessely
Herbst 1986
Streng verbietet mir Paula Wessely die Anrede »Gnädige Frau«. Sie ist »Frau Wessely«, ganz einfach »die Frau Wessely«. Und sogleich ist unser Gespräch sehr selbst-verständlich. Sie — der Inbegriff einer legendären, großen Schauspielerin ist in der künstlerischen Arbeit ganz und gar unprätentiös. Beispielhaft auch, wie offen sie neuen Kollegen begegnet. Es sind Proben zu ihrem Leseabend TRAUMBILDER, die Auswahl der Texte wird endgültig festgelegt. Ich schlage noch einen Prosatext von Robert Walser vor. Es verblüfft mich, daß sie sich zunächst gegen die komisch feine Geschichte einer Hofschauspielerin, die Schauspielunterricht gibt, sträubt. Ich überrede Paula Wessely zu dieser Geschichte, die bei der Premiere herrlich zünden wird. Fasziniert sehe ich bei den Proben, wie nüchtern und professionell Paula Wessely arbeitet. Ihre so einfach scheinende große Form ist hart und millimetergenau erarbeitet. In der Modulation ihrer Stimme liegt die unvergleichliche Wirkung, sie kann die Stimmung einer ganzen Epoche mit einem Satz, ja, mit einem einzigen Wort heraufbeschwören. Eine kurze Prosaskizze von Hilde Spiel prägt sich meinem Herzen bildhaft ein, sie erscheint mir wie die Beschreibung der Welt meiner Großeltern, die ich nicht erlebt habe. So muß es wohl gewesen sein, eine melancholische Impression, bar jeder Sentimentalität.
Paula Wessely spricht auf den Proben häufig vom Deutschen Theater in Berlin, von der Magie dieses Raumes, von seiner menschlichen Dimension. Eigentlich sei sie doch keine Burgschauspielerin, sagt sie, ihre Stimme sei für andere Räume geschaffen, das Akademietheater, vor allem aber das Deutsche Theater sei für sie ideal.
Aus: Hermann Beil. „Theaternarren leben länger. Hundert und drei Geschichten aus dem Burgtheater.“
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000
Wir bedanken uns herzlich bei Hermann Beil für die freundliche Abdruckgenehmigung.