Dichtung ist Sprache ist Stille ist Musik
Der Schauspieler Martin Schwab ist in seiner langen Laufbahn in zehn Thomas Bernhard-Stücken aufgetreten. Als elfte Bernhard-Figur spielt er den General in DIE JAGDGESELLSCHAFT.
Höchste Zeit für ein Porträt!
„Um 13 Uhr kommt mein Tod“, sagt Martin Schwab am Telefon fröhlich, „danach habe ich Zeit.“ Er steckt gerade mitten in den Proben zu Shakespeares RICHARD II. Nach dem Tod seiner Figur John von Gaunt kommt er, den Mantel über den Arm gehängt, gern zum Interview, und beißt in einen Apfel. Zwischen den beiden Lockdowns ist der vermutlich schon mit dem Schalk im Nacken geborene Martin Schwab gut beschäftigt. Wenn er zu wenig spielt, ruft er schon mal im Künstlerischen Betriebsbüro an: „Hallo? Was ist denn los?“ Vor der zweiten coronabedingten Schließung des Burgtheaters probt Schwab nicht nur Shakespeare, sondern steht auch als Großinquisitor in DON KARLOS und als Kadmos in Ulrich Rasches Inszenierung von DIE BAKCHEN auf der Burgtheaterbühne. Und DIE JAGDGESELLSCHAFT klopft schon an: Im Jänner soll das 1974 am Burgtheater uraufgeführte Stück von Thomas Bernhard Premiere haben, natürlich mit Martin Schwab – in der Rolle des Generals.
"Bernhards Sprache, die liebe ich. Sie ist wie Musik. Bernhards Stücke spielen, das ist als ob man ein Instrument spielen würde."
Mit Thomas Bernhard verbindet den 1937 in Möckmühl (Baden- Württemberg) geborenen Schauspieler eine lange Geschichte und mit dessen Werken eine große Liebe. Wie ein leiser Refrain tauchen die Bernhard-Stücke auf seinem Lebensweg immer wieder auf. Erste Bernhard-Begegnungen hat Schwab in Stuttgart, dann mit dem Erfolg des “Theatermacher” in Salzburg und bei seinem Burgtheater-Debüt in Wien. „Bernhards Sprache, die liebe ich. Sie ist wie Musik. Bernhards Stücke spielen, das ist als ob man ein Instrument spielen würde. Deshalb muss man Bernhard immer laut lesen, auswendig vortragen. Aus dem inneren Ohr kommt der Text als Musik dann nach außen. Das ist das Wesentliche.“
Ob er immer schon Schauspieler werden wollte? Er hätte die Erfahrung gemacht, dass viele Schauspieler zuerst etwas anderes lernten. In Schwabs Fall: Chemiekaufmann. Dann hat er sich an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin beworben und wurde genommen. Gern hat ihn sein Arbeitgeber damals nicht nach Berlin gehen lassen, verstanden hat er die Schwab’sche Schauspielschulen-Sehnsucht aber schon. Ist es auch nicht gerade die Schauspielerei, die in seiner Familie Tradition hatte, so dürfte der Boden für Schwabs Wunsch dennoch auf verwandten Gebieten bereitet worden sein: Musik und Musizieren, Literatur und Lesen, das war von Bedeutung in der Großfamilie Schwab. Mit sieben Geschwistern ist er aufgewachsen, genau in die Mitte geboren, als jüngster der „vier Großen“.
Wie ein leiser Refrain tauchen die Bernhard-Stücke auf Martin Schwabs Lebensweg immer wieder auf.
Wenn Martin Schwab erzählt, macht er das mit großer Leichtigkeit. Er holt weit aus. Mit den Worten, mit dem Körper, schupft mit Gesten und Geräuschen um sich, hält immer wieder inne, auch mitten im Satz, und gibt dem Gehirn seines Gegenübers Zeit, die Geschichten zusammenzusetzen. Erst dann setzt er fort. Wie Vater Schwab reagierte, als der Sohn mit der Schultasche ein Fenster zertrümmerte? Schwab atmet tief ein, und bevor er weiter spricht, spürt man die Gelassenheit des Vaters, der naturgemäß nicht erfreut, aber zumindest versichert war. Was der Sohn sich dabei dachte, als er der Schulkameradin ein Tintenfass hinterher warf – und tatsächlich einen Treffer landete? Schwab dreht sich mit erhobener Hand zur Seite und hält inne. Und in der Zehntelsekunde, bevor er mit der Erzählung fortsetzt, hängen Schock und Schmerz eines Achtjährigen in der Luft, der erkennt, dass er mit seinem Jähzorn beinahe etwas Furchtbares angerichtet hätte. Was er über Thomas Bernhard dachte, als er ihm zum ersten Mal persönlich begegnete am Staatstheater in Stuttgart? „Ein Dichter!“, ruft Schwab, zerdehnt das Wort, rollt mit den Augen und macht eine ausladende Geste.
In Salzburg, als Claus Peymann 1985 den „Theatermacher“ inszeniert, wünscht sich Thomas Bernhard Martin Schwab in der Rolle des Feruccio. „Der Peymann hatte das nicht gern, dass der sich da einmischt.“ Besetzt hat er Schwab aber trotzdem. Bot Salzburg doch den beiden, Peymann und Schwab, neutralen Boden – nach sieben Jahren der Zusammenarbeit hatte es ein Zerwürfnis gegeben, als Schwab nach Frankfurt ging, um mit Adolf Dresen zu arbeiten und mit einem anderen Künstler „ein neues Alphabet zu lernen“. Eine Kränkung für Peymann. In Salzburg hat Schwab Thomas Bernhard dann näher kennengelernt. Wie der so war? „Von vielen wurde er gefürchtet. Er war sehr eigen, sehr kritisch, hatte aber einen Humor, den ich sehr mochte und immer noch mag. Dieses Hinterfotzige!“
Martin Schwab, das sagen alle, die ihn und seine Arbeit gut kennen, bringt verlässlich großartige Leistungen in seiner schon über sechzigjährigen Theaterkarriere. Und drängt sich doch nie in die erste Reihe. Darüber, in dieser oder jener Rolle besetzt zu sein, ist für ihn an sich noch kein Anlass zur Freude. Auch nicht in DIE JAGDGESELLSCHAFT „Freilich ist da eine Eitelkeit, wenn man eine TR kriegt“, sagt Schwab und hört dem Klang von T-RRRRR nach. TitelRRRRolle. Schwab rollt die Eitelkeit davon. „Die Freude kommt aber erst mit dem Spielen, mit den Proben, mit den Leuten, mit denen man zusammen ist. Mit denen man so ein Stück auf die Bühne, auf die Beine stellt. Nur aus dem Ensemble heraus, aus der Gemeinsamkeit heraus kann etwas entstehen.“ Ist ihm die Gemeinschaft wichtiger als die Rolle? „Ja“, sagt Schwab. Und meint es ernst.
Ob er für die jungen Kolleg*innen ein Vorbild sei? Schwab nimmt den Ball nicht an, er kontert: Ein Vorbild kann man nie sein wollen. Das wird man, oder wird man nicht. Und kokett setzt er hinterher: Wenn die jungen Kolleg* innen nach der Probe im Publikumsraum herumsitzen, geht er schon mal hin und sagt: „Junge, nimm die Füße da runter. Da sitzt doch das Publikum! Und deinen Pappbecher, den kannst du auch gleich mitnehmen!“ (Auch) ein solches Vorbild zu sein, das findet er richtig.
„Da er untertreibt, ist er groß“, schrieb der frühere Burgtheaterdirektor Klaus Bachler einmal über Martin Schwab. „Da er heiter ist, ist er ernsthaft. Sein Anstand gibt ihm seine Würde, und seine Gelassenheit gibt ihm die Güte.“ Diese Gelassenheit und Güte, die Heiterkeit und unaufgeregte Ernsthaftigkeit ist gerade in diesen Tagen eine Wohltat. Sechzig Jahre Bühnenkarriere werden im November 2020 ein weiteres Mal durch Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus unterbrochen. „Das ist eine schwere Zeit“, sagt Schwab. „Was ist schon ein Schauspieler ohne sein Publikum?“ Aber er sagt auch: „Ich denke immer positiv und will mir nicht die Kräfte rauben lassen.“ Wenn die Theater wieder öffnen, wird Schwab wohl wieder im Betriebsbüro anrufen. „Was steht denn auf dem Spielplan?“, wird er fragen und vielleicht meckern, wenn er nicht oft genug dran kommt. Still sitzen, das kann er nämlich nicht gut. Martin Schwab nimmt seinen Mantel und isst seinen Apfel fertig. Wie nebenher sagt er: „Dichtung ist Sprache ist Stille ist Musik ist Menschenkenntnis ist Leidenschaft. Das gibt zusammen einen tollen Theaterabend.“
Martin Schwab
ist seit 1987 Ensemblemitglied des Burgtheaters. 1992 wurde ihm die Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wien verliehen; 2000 erhielt er den Nestroy-Theaterpreis. 2003 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen, 2005 erhielt er den Berufstitel Kammerschauspieler. 2009 wurde Martin Schwab zum Ehrenmitglied des Burgtheaters ernannt.