"Ich schäme mich ein bisschen, dass ich über diese außergewöhnliche Frau nicht Bescheid wusste ..."
Mateja Koležnik inszeniert in der Spielzeit 2019/20 DER HENKER von Maria Lazar - einer fast vergessenen jüdischen Autorin der 1920er Jahre. Sabrina Zwach sprach mit ihr über die Wiederentdeckung.
Kannten Sie Maria Lazar?
Bevor mich das künstlerische Team des Burgtheaters eingeladen hat, Maria Lazars Text zu inszenieren, habe ich nie etwas von ihr gehört. Jetzt, wo ich mich ausführlich mit ihrem Werk und Leben beschäftigt habe, schäme ich mich fast ein bisschen, dass ich über diese außergewöhnliche Frau nicht Bescheid wusste.
Was war das erste, was Ihnen beim Lesen des Stückes "Der Henker" in den Sinn kam und Sie inspirierte?
Beim ersten Lesen war ich überrascht, dass ich mich in dieser eindeutigen und starken Geschichte, in der es um essenzielle und existenzielle Fragen geht, die sich auf die Beendigung eines Menschenlebens beziehen, nicht entscheiden konnte, wer klar der „Böse“ ist, und ob es wirklich ausschließlich einen gibt.
Als Thomas Mann Maria Lazars Roman Die Vergiftung las, notierte er „penetranter Weibsgeruch ...“ Wie erklären Sie eine solche Reaktion?
Ich weiß nicht, ob diese Antwort aus ähnlichen Wurzeln stammt wie die Aussage des großen deutschen Regisseurs Frank Castorf, dass Theater, in dem Frauen Regie führen, dem Frauenfußball gleicht. Doch zumindest bei Maria Lazar bin ich absolut überzeugt, dass sie mit ihrem Text vollkommen berechtigt in derselben Liga spielt wie die männlichen Kollegen.
Bereits als sehr junge Frau hatte Maria Lazar einen sehr guten Instinkt für die politische Dimension der 1920er Jahre. Welche Verbindung können Sie von dieser Zeit zu unserer erkennen?
Was ich am furchteinflößendsten finde, ist das Dilemma, vor dem wir, fürchte ich, bald selbst stehen werden – Wenn das Ergebnis einer Arbeit ein toter Mensch ist, kann man diese Arbeit ausschließlich auf Pflicht basierend machen? Ist es möglich, die persönliche Verantwortung (all unseres Handelns) abzugeben.
Premiere: 04.12.2019
Regie: Mateja Koležnik
Im Jahr 1921 erlebt Maria Lazars Einakter DER HENKER in ihrer Heimatstadt Wien an der Neuen Wiener Bühne seine Uraufführung. Sie schreibt in dieser Zeit für verschiedene Zeitungen vor allem Fortsetzungsromane und arbeitet als Übersetzerin, bevor sie emigriert und im Sommer 1933 gemeinsam mit Helene Weigel und Bert Brecht bei Karin Michaelis auf der dänischen Insel Thurø Unterkunft findet. Im Herbst 1935 zieht sie nach Kopenhagen und emigriert 1939 nach Schweden, wo sie sich wegen ihrer unheilbaren Krankheit 1948 das Leben nimmt.
Mateja Koležnik wird den Einakter inszenieren. In diesem wird man Zeuge der letzten Stunden eines zum Tode verurteilten Mörders, der seinen Henker kennen lernen will und diesen zwingt, den Akt der Hinrichtung nicht als professionelle Pflichterfüllung, sondern aus tiefster persönlicher Überzeugung zu vollziehen. In der Todeszelle werden moralische Standpunkte und Haltungen dekliniert. Der Mörder wird zum Herausforderer des Henkers in einer ethischen Debatte, die kompromisslos – und doch überraschend – bis zu Ende geführt wird.
Mateja Koležnik gehört zu den renommiertesten Regisseurinnen des zeitgenössischen slowenischen Theaters. Seit 2012 inszeniert sie vermehrt auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Koležnik studierte Theaterregie an der Akademie für Theater, Radio, Film und Fernsehen in Ljubljana. Für ihre Inszenierungen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 2018 den Nestroy Preis für Iwanow.