KATHARSIS

von DEAD CENTRE
nach Geschichten aus OLGA TOKARCZUKS Unrast

URAUFFÜHRUNG 18 03 2023 | AKADEMIETHEATER

Regie BEN KIDD & BUSH MOUKARZEL

Bühne JEREMY HERBERT

Kostüme MIRJAM PLEINES

Musik KEVIN GLEESON

Video SOPHIE LUX

Licht MARCUS LORAN

Dramaturgie ALEXANDER KERLIN

Sensitivity Reading & Beratung Daniel Romuald Bitouh (afrieurotext.at)

 

In Olga Tokarczuks Fragmentroman UNRAST sind die Körper der Menschen in Bewegung – die der Lebenden wie die der Toten. Sie reisen, sie werden beschaut, sie gehen verloren, sie werden seziert. Wie aber die Lebenden mit den Körpern ihrer Toten umgehen, was sie mit ihnen tun und wie, wer wann wen anschaut, das sind keine Fragen unter anderen – entlang des Umgangs mit den Toten lassen sich einer Kultur, einer ganzen Epoche ihre Untiefen abhorchen.  

Olga Tokarczuk streut in UNRAST drei Briefe ein, die sie mit dem Absender Josephine Soliman unterschreibt: Briefe des Protests und des Widerstandes an den amtierenden Kaiser Franz II. (1768-1835). Josephine war “die erste dokumentierte Frau aus der Black Austrian Community, die sich gegen die koloniale Staatsgewalt auflehnte” (Anouk Shad). Ihr Vater war Mmadi Make, als Kind von Sklavenhändler*innen aus seiner westafrikanischen Heimat verschleppt, in Europa auf den Namen Angelo Soliman getauft, wo er aus der Position eines Dieners in die höchsten gesellschaftlichen Kreise des Habsburgerreiches aufstieg und zum “berühmtesten Schwarzen Menschen im Wien des 18. Jahrhunderts” (Shad) wurde. Nach seinem Tod wurde sein Leichnam als Ausstellungsobjekt für das Hof-Naturalienkabinett präpariert und den Blicken der Lebenden unterworfen.  
 
In diesen drei intensiven Briefen bittet Josephine, wie eine Antigone im 18. Jahrhundert, ihren Vater bestatten zu dürfen und seinem Körper so die Würde und Totenruhe zurückzugeben. Als die kaiserliche Antwort ausbleibt, verwandelt sich ihre Bitte in Zorn. Auf der Rückseite des Denkens der Aufklärung, das vordergründig Wissenschaft, Forschung, Gleichheit, die bürgerliche Revolution, das Theater (ja, das Schauen selbst) feierte, werden in Europa streng hierarchische Welteinteilungen vorgenommen und “das systematische Konstrukt der Rassentheorie als nachträgliche Rationalisierung der Gräueltaten der Kolonialmächte” durchgesetzt (Shad).  

In ihrer dritten Arbeit im Akademietheater kreist das Regie- und Autorenduo Dead Centre, inspiriert von Tokarczuks Briefen, gemeinsam mit dem Ensemble um die Leerstelle, die der Umgang mit Mmadi Makes / Angelo Solimans Körper buchstäblich in die Österreichisch Geschichte gerissen hat, um die Konstruktion des kulturell Anderen und das Trauma, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist – aber auch um das Versprechen auf eine andere Welt, das in seinem bemerkenswerten Leben aufgehoben ist. 

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