AUS DEM VERBORGENEN HERAUS GESCHRIEBEN

Fundstück
von Veronika Zorn

Naturgemäß ist das Hauptwerk von Marianne Fritz. Ihr Romandebüt Die Schwerkraft der Verhältnisse wird als Bühnenadaption am Akademietheater uraufgeführt. 


 

Manuskript Marianne Fritz
© Marianne Fritz
In dieser Rubrik stellen wir literarische Fundstücke vor – aus der Feder von Schriftsteller*innen, die am Burgtheater aufgeführt werden.

Wenn über Friederike Mayröcker gesagt wird, sie sei die bekannteste ungelesene Autorin Österreichs, so müsste über Marianne Fritz vermutlich gesagt werden, sie wäre die unbekannteste österreichische Autorin. Die heute noch lesbaren Spuren, die zu Marianne Fritz hinführen, sind spärlich. Doch die Autorin kann kaum als Vergessene bezeichnet werden, denn schon zu Lebzeiten stellte sie eine Randfigur des Literaturbetriebs dar.

Ihr Werk lässt sich als schriftstellerisches Freilegen des Verborgenen, des Übermalten, des über den Rand der Wahrnehmung Hinausgedrängten, des vom gesellschaftlichen Diskurs Ausgesperrten sehen.

Eine Position, die sich die 1947 in der steirischen Gemeinde Weiz geborene und 2007 in der Wahlheimat Wien verstorbene Schriftstellerin – obwohl sie bei Suhrkamp verlegt wurde – durch ihre konsequente Verweigerung gegenüber dem Literaturbetrieb auch selbst zuwies. Bereits mit 24 Jahren gab sie in Bregenz ihre letzte öffentliche Lesung. Der Beifall und die Bewunderung von Publikum und Presse hinterließen bei Marianne Fritz damals einen verstörenden Eindruck: „Wir lasen vor vollem Saal, auch Presse und Rundfunk berichteten darüber. Daß ich ‚angekommen‘ war, hat mich damals so sehr verwirrt, daß ich ausrief: ‚Klatscht nicht! Um Gottes Willen, was gibt es da zu klatschen!?’ Das junge Publikum, das für den Beifall so bedankt wurde, sah mich genauso verwirrt an. Kurz und gut, ich wollte nie mehr öffentlich auftreten, obwohl die Lesung ein großer Erfolg war.“ 

Marianne Fritz erarbeitete sich ihre literarischen Stoffe in akribischen Archivrecherchen, baute Modelle der Schauplätze ihrer Romane, zeichnete Pläne und fertigte aufwendigste Typoskripte an, um in die Tiefen der Geschichte und deren Zusammenhänge vorzudringen. Ihr Werk lässt sich als schriftstellerisches Freilegen des Verborgenen, des Übermalten, des über den Rand der Wahrnehmung Hinausgedrängten, des vom gesellschaftlichen Diskurs Ausgesperrten sehen. „Vielleicht befasse ich mich mit dem, was gewisse Formulare, Dokumente, karteimäßig erfaßte Lebensläufe ausgrenzen, weglassen, nicht in sich aufnehmen; vielleicht bewegen mich die ‚Leerstellen‘, das ‚Nichtfestgehaltene‘, das ‚Weggestrichene‘, das ‚unerwähnt Gebliebene‘, das ‚Nichtrelevante‘, das ‚Überflüssige‘, das ‚Überzählige‘, die Tatsache, daß vieles, was ‚Information‘ ist, gelebt wird, vielleicht bin ich mehr zuständig für das, was in Informationen gespeichert ist, nämlich: Erlebnisse? Schicksale? Leiden? Qualen? Pein, Irrtümer, die BEZAHLT werden, erlitten werden; wahrscheinlich, denkbar ist es gewiß ‚mache‘ ich gewisse ‚Lebensläufe‘ wieder zum Erlebnis?“

Text vorlesen lassen. Von Robert Reinagl.

Um der Unfassbarkeit des Krieges, der Gewalt, der Vergewaltigung des Individuums durch die herrschenden Verhältnisse, Ausdruck zu verleihen, blickt Marianne Fritz hinter die Worte, sprengt ihre glatte Oberfläche auf, die ihre Sprachkraft behindert

Für Marianne Fritz‘ Auseinandersetzung mit der österreichischen Geschichte ist diese erklärte Sichtbarmachung von Leerstellen bezeichnend. Sie bewegt sich von Buch zu Buch immer weiter zurück und wendet zugleich immer komplexere Schreibverfahren an, die eine bequeme Lesehaltung zunehmend verhindern. Erzählt ihr Erstlingswerk “Die Schwerkraft der Verhältnisse”, für das sie mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet wurde, noch vergleichsweise konventionell die Geschichte der Berta Schrei, die, zerrieben von den Umständen, keinen anderen Ausweg sieht als ihre Kinder zu töten, so dringt die Autorin in den folgenden Werken immer tiefer in das Dickicht der Geschichte ein. Mit diesem Eindringen verdichtet sich die formale Komplexität der Texte immer mehr. Um der Unfassbarkeit des Krieges, der Gewalt, der Vergewaltigung des Individuums durch die herrschenden Verhältnisse, Ausdruck zu verleihen, blickt Marianne Fritz hinter die Worte, sprengt ihre glatte Oberfläche auf, die ihre Sprachkraft behindert: „[…] ich aber finde, die oder jene Wirksamkeit einer Übereinkunft schädigt, glättet, behindert, stutzt zurecht, vereinfacht, verflacht; deckt zu, wo ich abdecken möchte; bekleidet, wo ich abdecken möchte; macht ruhig, wo Unruhe ist; vollendet was eine Ruine ist; schafft Übersicht, wo keine ist; da sag ich mir dann: So nicht, liebes Wort, liebes Zeichen.“ Das grafische Schriftbild ihres letzten Werkkomplexes Naturgemäß I-III bricht das lineare Erzählen zugunsten mehrdimensionaler Partituren auf, in denen sich die Wörter wie Sprengdiagramme in verschiedene Deutungsspuren auffächern. Damit drückt sich durch das Schriftbild selbst das Wagnis der Sprache jenseits klarer Bedeutungsgrenzen aus. Eine Randposition kommt Marianne Fritz vor allem aufgrund dieser formalen Komplexität zu, herausgefordert haben dürfte sie damit Ausdauer und Bereitschaft von Leser*innen, ihren immer fordernderen Texten zu begegnen. Marianne Fritz entzieht ihr Schreiben, das sie selbst unter den programmatischen Übertitel “Die Festung” stellte, einer fasslichen Lektüre. Der zehntausend Seiten umfassende Festungskomplex hinterfragt die Systeme der Gewalt, der Herrschaft und der Ohnmacht, die sich nicht zuletzt in dem Prinzip der Psychiatrie zeigen: „Meine Festung ist ätzende Ironie, ist Anklage gegen die Allgewalt eines Priamus Dr.Dr.T[…], in dem sich manch ein Herrgott wiedererkennen darf, ist Anklage gegen eine geistliche Oberschwester G[…], die ihr christliches Nächstenliebe Schwert über die Ärmsten der Arten schwingt, auf dieses niedersaußen läßt, meine Festung ist Anklage gegen die II Republik Österreich, die ihre psychisch Kranken anstatt zu heilen quält, entwürdigt, demütigt!“ Folgerichtig verschließt sie dabei massentaugliche Aufmerksamkeitsökonomien. 
 

#FUNDSTÜCK #2 Aus dem Verborgenen geschrieben: MARIANNE FRITZ
Mehr zum Stück
Element 1 von 1

Die Schwerkraft der Verhältnisse

Akademietheater
Marianne Fritz
Zurück nach oben